Heft 1
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RADALA:

AUS JUNGEN TAGEN

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1. IV. 1914

gingen uns aus dem Wege. Diesmal war es aber nicht notwendig, daß sie uns aus dem Wege gehen, denn wir schlugen die Spielbude auf einem von Passanten nicht frequentierten Orte – im kleinen Tempelhofe – auf. Im großen Tempelhofe wähnten wir uns nicht ganz sicher, denn ein jeder konnte von der Straße aus uns sehen und wir wollten ja doch nicht haben, daß man sage, daß die Herren Realschüler Klicker spielen. Im kleinen Tempelhofe hingegen, waren wir sicher solchen Vorwürfen nicht ausgesetzt zu sein. – Gespielt wurde da mit großem Eifer wie ehedem und nichts verriet, daß

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wir bereits in der Realschule inskribiert waren. – Ja sogar eifriger wie ehedem wurde gespielt, denn wir mussten nicht stets auf der Lauer sein und gefasst sein, daß der Herr Lehrer käme und uns gewohnheitsgemäß das Spielzeug abnehmen könne, welches er wieder gewohnheitsgemäß seinen Enkeln, Schulgenossen von uns, überließ. – Wäre der Herr Lehrer diesmal gekommen und von uns das Spielzeug abverlangt, hätten wir es sicher nicht gegeben, noch hätten wir den Versuch gemacht uns zu verlaufen. – Wir wären sicher ruhig geblieben, denn wir waren ja schon Realschüler. – Der Herr Lehrer erschien aber nicht – und

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es war auch gut, denn schließlich und endlich weiß ich ja doch nicht, ob wir nicht auf des Herrn Lehrers Geheiß das Spielzeug abgegeben hätten und konsterniert von dannen gezogen wären. – Er kam also nicht, und so konnte sich unser damals in der Hochsaison stehendes Klickerspiel ruhig entwickeln. So eifrig es auch war, glich es dennoch nicht dem Spiele von früher. – Denn während wir früher tüchtig hasardieren konnten, zumal es uns an Klickern nicht fehlte, mussten wir uns diesmal anfangs aber bloß mit solidem Spielen abfinden, nachdem doch ein jeder von uns 6 Klicker bloß hatte. – Von denen 6 Klickern drei oder vier auf

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einmal im Hasardspiele verlieren wollten wir ja schon aus dem einfachen Grunde nicht um nicht als „schwarz“ erklärt, aus dem Spiele ausgeschlossen zu werden. – Lange konnte diese Absicht aber keinen festen Platz eingeräumt bekommen, denn das solide Spiel ward allmählich zu einem faden Spiele. – Um ihm die fade Seite zu entziehen, begann man zu hasardieren; und was war die Folge dessen? Bald wurde der eine, bald der andere „schwarz“ erklärt. Er brauchte sich nicht selbst „schwarz“ zu erklären, denn über 6 Klicker konnte man ja genaue Rechnung führen. Anders war dem schon,

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wenn einer viele Klicker hatte, da konnte man nicht konstatieren, ob er „schwarz“ sei ohne seine Mithilfe; da musste er selbst angeben, daß er nun „schwarz“ geworden. – So erging es uns alsbald – und wie bereits erwähnt wurde bald der eine, bald der andere „schwarz“. – Dem wurde aber insoferne abgeholfen, daß der Gewinner dem Verlierenden Klicker dann borgte. – Das war eine köstliche Errungenschaft – nämlich, daß der Gewinner dem Verlierenden etwas borgte. Das war ein großer Fortschritt. – Ein Beweis, daß man an der Eingangspforte der Realschule schon stand. Früher

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nämlich hätte der Gewinner um keinen Preis das getan, denn er behauptete, daß die Erfahrung ihn lehrt, daß er stets dann, wenn er vom Gewinne etwas herborgt, verliere. – Und tatsächlich sind solche Falle [sic] in den Spielannalen der Volksschule vereinzelt verzeichnet. – Würde ich mich anstrengen, fände ich heute noch nach Jahren die Namen jener heraus, die so großherzig gehandelt haben. – Solche Namen prägten sich fest ins Gedächtnis ein. – Es ist dies auch ganz begreiflich, denn wie könnte man seines Retters in der Not nicht gedenken, wie könnte man solchen Großmut vergessen. – Ich

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habe vielleicht heute nach Jahren noch nicht diese Großmütigen vergessen, ein Beweis dafür, daß sie mir scharf in Erinnerung stehen, aber auch dafür, daß ich oft „schwarz“ geworden und eines Retters bedürftig war, der sich aber auch nicht immer einstellen wollte. – Diesmal gab es aber unter uns freiwillige Retter. Kaum ist einer „schwarz“ geworden, wurde ihm schon auch ohne, daß er zuerst hartnäckig anpumpen musste, ausgeholfen. – Da sich aber solche Akte allzuoft und obendrein in einer für unser noch immer viel zu solides Spiel, zu kurzen Zeit wieder-

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holten, war man gezwungen einen anderen Spieß umzudrehen, zumal auch schon die Schulden einzelner 20-30 Klicker betrugen, eine Schuld für die man voraussetzte, daß sie nicht allzuleicht bezahlt werden könne. Somit wurde der „schwarz“ gewordene, der noch obendrein mit dem Liede „Alle schwarze Brüder“ gehänselt wurde und dem das Prädikat abge„fäckelt“ tapfer verliehen wurde, aus dem Spiele ausgeschlossen. – Ich weiß nicht, ob ein solch geadelter, in den Ruhestand versetzter ein saureres Gesicht gemacht hätte, wenn man ihn aus der Schule ausgestoßen hätte, als er damals für

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ein bitter-saures Gesicht machte, da er vom Spiele ausgeschlossen wurde. – So wie aber auch andere Schulen mit solch Ausgestoßenen Erbarmen haben, so hatten wir auch alsbald mit ihm Erbarmen. – So wie aber auch die Schule die ihn aufnimmt an seine Aufnahme harte Bedingungen knüpft, so taten wir es auch. –

9. V. 14. Vor allem musste er seine Schuld begleichen. – Es klingt dieser Satz ein wenig paradox wenn man bedenkt, daß er ja infolge dessen, daß er „schwarz“ geworden aus dem Spiele gestoßen wurde. Und trotzdem konnte er seine Schulden begleichen, indem er für jeden vom Anzuge abgenommenen

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Knopf mindestens 5 Klicker abgeschrieben bekam. – Hatte er somit nach Begleich seine Schuld noch einen Überschuss an Knöpfen an seinem Anzuge zu verzeichnen, so handelte er diese in Klicker um. – Er ward dadurch also mit allen vorherigen Rechten ins Spiel eingesetzt. – Alle Rechte hatte er wohl, die Geschicklichkeit von ehedem fehlte ihm aber, denn er war mit einer Hand gebunden, zumal er die Hosen halten musste. Waren ja doch die Knöpfe entfernt, wodurch die Träger keinen Halt mehr haben konnten. – Trotz all dieser Hemmnisse spielte er aber trotzdem und verlor aber auch

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seine „Knöpfeklicker“ wie wir die für Knöpfe erworbenen Klicker nannten. Und war er dann abermals „schwarz“ und hatte er keine Knöpfe mehr, außer denen, die er um keinen Preis von der Stelle entfernt hätte, so musste er sich vom Spiel zurückziehen. – Solches und Ähnliches kam an diesem Nachmittage nicht selten vor. – Nachdem wir abwechselnd durch das ungleichmäßige Lenken des Glücksschiffes von solchem Schicksale ereilt wurden, d. h. zuletzt nur Einer blieb dem Fortuna hold gewesen und ihn reichlich mit Klickern und Knöpfen beschenkte, hieß es aufbrechen. – Abgefäckelt nach hause zu gehen, mit den Händen in den Taschen die

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Beinkleider zu halten und den Rock mit Nadeln von der Innenseite zu befestigen, war uns wohl nichts Neues. – Daß es uns aber alle diesmal so eigenartig anmuten werde, hatten wir aber nicht gedacht. – Ja, es regte sich das Gefühl und der Stolz im Realschüler. – Geschehen war es aber, nach Hause musste es gegangen sein, die Beinkleider durften nicht „zu Falle“ gebracht werden und da blieb nichts anderes übrig als das Los eines Abgefäckelten geduldig ertragen. – Zu Hause legte man dann behutsam den Rock ab, verdeckte womöglichst je besser die Stellen der abgerissenen

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Knöpfe an den Beinkleidern und wartete die Gelegenheit ab bis man zu Nadel und Zwirn komme um die fehlenden Knöpfe zu ersetzen, welche aber ihrer Mannigfaltigkeit wegen stets das Mosaik am Anzuge bildeten. – Denn das waren ja solch bunte Knöpfe, daß sie schon als Mosaik betrachtet werden konnten. – Generationen weinten aber um diese Knöpfe, ebenso wie ich um meine Knöpfe weinte, die sich event. der andere Schulgenosse, der uns alle abfäckelte anmachte, zumal sie doch aus Perlmutter gewesen, der zuliebe er seine

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Stahlknöpfe entfernte. Dabei konnte er aber noch nicht wissen, daß er diese einmal doch von sich, trotzdem sie so festgenäht, im Spiele hergeben könne. – Aussichten für ein künftiges Spiel, waren wohl wenig vorhanden, denn wir nahmen uns vor als Realschüler vom Spiele derartiger Sorte zu lassen. – Damals kannten wir aber noch nicht die Spielsitten und Bräuche aus eigener Erfahrung, die in der Realschule dominierten. – Wir mußten sie aber bald kennen lernen, zumal wir doch schon am zweitnächsten Tag zur Schule gingen. –