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GARBEN.

PROSA UND POESIE

VON

RADALA.

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Bin zu alt, um noch zu säen, –
Garben müssen nun entstehen

 

In steter Erinnerung an den 19. IX. p.m. 1911 - 1912 – meinem Mauserl!

Ra.

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Ernstes und Heiteres in und ausser Theodor!

Geschrieben aus dem Leben. –

Nach Theodors Aufzeichnungen!

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I. Teil. –

Motto:

Auch in dumpfer Zimmerluft –
Gedeihen Rosen voller Duft. –

Abgesondert von der verdorbenen, oft Unheil stiftenden, erbärmlich bestellten Außenwelt, abseits von dem lustigen, übermütigen Treiben seiner jugendlichen Altersgenossen, sitzt Theodor in sich gekehrt in seiner geschmackvoll, junggesellenartig eingerichteten Stube an seinem Schreibtische, das schwere, mit Jus¹ beladene Haupt auf die Linke stützend und befaßt sich da, der Pflicht und seinem „Ich“ gehorchend mit dem

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¹ Jus: österreichisch für Jura, Rechtswissenschaften.

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trockenen, juridischen Studium. – Von Zeit zu Zeit verläßt er seinen Arbeitstisch, geht nervös im Zimmer auf und ab, raucht während dieser kurzen Pause einige Zigaretten, zu welchen er bloß ein Zündhölzchen aufbraucht, zieht sich die schwachen Finger beim Auf- und Abgehen allmählich durch das dichte Haar – ein Zeichen, dass er sehr zerstreut – und bald lag er wieder beruhigt über seine[n] Bücher[n]. Waren es das Konkordat¹, die Bulle² oder Brevia³, mit einem Worte die materiellen Quellen des an Blödsinne reichen Kanonischen Rechtes⁴ oder aber die Isidoriana, Pseudo-Isidoriana⁵, Gratians Dekret⁶ und wie noch die anderen Gehörmassagen heißen mögen, die ihn heute so fest hielten, daß er gar keine

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¹ Konkordat: Vertrag zwischen einem Staat und der katholischen Kirche.
² Bulle: Päpstlicher Rechtsakt.
³ Breve: Päpstlicher Erlass.
⁴ Kanonisches Recht: Kirchenrecht
⁵ Pseudo-Isidoriana: Kirchenrechtliche Fälschung des Mittelalters.
⁶ Gratians Dekret: Ein 1140 erschienenes kirchliches Dekret.

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Lust an den Tag legte das Buch zu verlassen? Ich glaube meinem Theodor aus der Seele zu sprechen, wenn ich sage, dass es nichts von all dem gewesen, sondern einfach das „Citieren“– ja das für viele Leidensgefährte[n] verhängnisvoll gewesene „Citieren“. – „Ach, wenn nur das nicht wäre” so mag Theodor gedacht haben, als er in hartem Kampfe mit dem Citieren dennoch siegte, in Wirklichkeit aber unterlag, denn nach einer Stunde falls er zufällig ans Citieren denkt, da würde es ihn sicherlich citieren – aber zum Buche hin – citieren und so lange würde es ihn dann citieren, bis er nicht selbst durch das allzulange Citieren ein ganzes Citat wäre. – Tief

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aber dennoch sehr leicht atmete Theodor auf, als er mit einer trotzigen, souveränen, verächtlichen Geste von sich das Buch wegstoßen konnte, wissend, seine Pflicht erfüllt zu haben, um es erst in einigen Tagen am „grünen Tische“ mit einer minder trotzigen, verächtlichen, souveränen Miene vor den „Gestrengen“, in seinem räumlich sehr engen Gehirnkästchen zu öffnen. – Ruhig sah er dem frohen Tage entgegen an welchem er abgeschlossen wie in einer Menagerie vor den Bändigern sitzen wird, die die langen, gewissen Tieren ähnelnden Ohren besitzen, die großen Augen, die etwas gemeinschaftliches mit dem Moses außer Rand, Band und

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Land gebrachten Tiere haben, aufreißen, nicht etwa um ihn immer im Auge zu behalten, sondern der Zuschauer, des Publikums, des löblichen Soufleur-Amtes halber, um, daß sie ihn nicht mit einigen Worten reizen. – Schon hört er sich mit den schönen, von der ersten Prüfung her bekannten Worten: „Herr Kollega“ angesprochen, die bei einem voller Ironie sind, bei dem anderen hingegen ohne jeden Hintergedanken. – In einem Falle aber sind sie gleich; in diesem Falle sind sie von Eseln gesprochen, die einander von schlechten Zeiten erzählen. – Der eine klagt, der andere klagt und jeder behauptet, daß er schlechter daran sei. – Der Gescheitere aber – verzeiht mir

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bitte diesen Ausdruck – um seiner Behauptung Geltung zu verschaffen, begann seinen Kollegen von bisher nie gehörten schweren Tagen zu erzählen. Der Kollega stutzt, macht graziöse Bewegungen mit seiner Kopfzierde und schaut ihn verständnisvoll und verwundert an, jedoch mit dem Ausdrucke nichts davon zu wissen. Darauf er, der Erhabene, der Gottvolle, der Sieger … „Aber, Herr Kollega“, wie kommt das, daß Sie das nicht wissen?" Eine kleine Pause - beide schauen sich an, nicht einer macht eine Bewegung mit den Lippen, weder ein „I“ noch ein „A“ daß sie sprechen würden – sie sind beide stumm.

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Der Eine über seine Erhabenheit, der andere durch das Bewußtsein, seinen Brüdern und Kollegen nur zur Ehre gedient zu haben. Wißt ihr nun jetzt in welchem Falle sich diese Worte gleichen?

O, ich ließ Euch bei der Tatsache und brachte Euch in Theodors schwebende Zukunft. Verzeihung, Vergebung dafür! Ich will es rasch gut machen. – Theodor stieß also, in der Einbildung alles zu wissen das Buch von sich um es nicht mehr bis zur Prüfung, aber nicht zur Hand, sondern aus dem Schädel in anderer, verschlechterter Auflage zu nehmen. Glücklich darob, sich von

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diesem einschläfernden Studium, wenn auch nur auf kurze Zeit losgerissen zu haben, sprang er auf, rauchte eine Zigarette an, von denen 2 erst einen Duft von 2 Hellern verrieten und ging auf seinen Bücherschrank zu, um vielleicht doch das Buch zu finden, wes [sic] er eine im Schranke sah. – Er dachte aber soviel an dieses Buch, daß er daran glaubte, anderswo es ausgeschlossen gesehen zu haben als bei seinen Büchern. Und gerade dieses Buch mußte, wollte er haben. – Eben heute wollte er mit Wagner sich befassen. – Tausende von anderen wissenschaftlichen Büchern standen ihm zur

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Verfügung, an hunderten Exemplaren der modernsten Literatur durch Sherlock Holmes und Nick-Carter vertreten, konnte er sein Durst stillen, doch nein – er mußte Wagner haben. – Ein fester Wille mit nicht schlechtem Vorsatze! Andere dürften sagen: „Sie harter, ungebildeter Schädel.“ – Wo wird er aber jetzt das Beyreuther Phäminisnomen finden, um daß er dessen Loh-Nigrin, Tannenhäuser, Nebelgelungen, Waldkühe, Siegfrieden und wie da alle seine einträglichen Lieder heißen, näher kennen lernen. – Er wußte wohl, daß Loh-Nigrin

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von einer Ente zu Gänschen oder Elschen, wie sie schon eigentlich hieß, gezogen wurde; daß er auf einer Henne zum Groll (sprich: Gral) zurückkehrte; er wußte auch, daß Tannenhäuser, als er sich von der Göttin der Jagd – Venus befreit, im Frühsommer auf einer Frühlingslandschaft am Fuße der Burg - als nicht Besorgnis erregende Pilger vorbeizogen, gewartet und daß sie daher die Wart-Burg benannt wurde; er erinnerte sich so ganz benebelt, daß Nebelgelungen der Riese Al-Bericht (sprich: Alberich) war, daß Fortan (sprich: Wotan) der Beherrscher

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der Waldkühe (ließ: Walküre) unter denen die schönste Brunhilde, gewesen; er wußte, daß durch den Sieg des Sohnes von Siegelring (sprich: Sieglinde), den er aber ein gehetztes Lamm davontrug, der Frieden ins Land zog; des Schönsten und Erhabensen von all dem war er sich nicht bewußt. Lange dachte er nach und mit einer Miene, die wahrscheinlich auch Archimedes schnitt, deutete er an, daß er nun bald in den Besitz dieses Komponisten sein wird, welcher eine Ausnahme von allen anderen seines Faches ist, zumal er nur für den Marensplatz zu Bayreuth

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schreibt und dafür sehr hochgestellte Tanten (sprich: Tantiemen) erhält. Also er hat’s gefunden. –
Heureka!!!!!!!!!

II. Teil. –

„Also gleich werde ich im Besitze des heißersehnten Buches sein“ dachte Theodor in sich. Rasch sprang er auf und auch aus seinem mit sch[???]stem Anthracen tätovierten und Dummi-Araber verpickten¹ Arbeitsanzug, zog eines der vielen, noch nicht ausbezahlten Kleider auf sich, krazte sich in der Eile die nicht besonders darunter leidende Haut

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¹ verpicken: österreichisch für verkleben.

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ab, brachte sein in größter Ordnung herumwallendes Haar in Unordnung, um daß man ihn nicht noch am Ende für einen Künstler oder Poeten halte, richtete die Stelle für den künftigen Schnurrbart zurecht verdeckte mit der langen Mäne seine vielsagenden, durchs Verkleinerungsglas noch immer genug umfangreich erschimmernden Ohren und stellte sich dann zu dem ihn ein getäuschten Spiegel, um daß er seinem Gesichte durch kräftige Massage, zu einem verständnisvollen, klugen Eindrucke die Passage gebe. All dies währte kaum eine halbe Stunde. Noch einmal

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schaute er sich, seine Augen und Kopf ganz verdrehend, gründlich an und rast dann durch die Gassen und Straßen wie Archimedes dahin, mit dem Unterschiede bloß, nicht so notdürftig wie Archimedes gekleidet zu sein. – Schon ist er an Ort und Stelle angelangt, er braucht nur noch die Türe zu öffnen und die Treppen hinaufzusteigen, da trifft sein „Herr Kollega“ (Honny soit qui mal y pense) und schon aus Höflichkeit mußte er mit ihm einige „kollegiale“ Worte austauschen. – Noch immer wird kollegial geplauscht, Theodor giebt durch die Ungeduld schon verwirrte Antworten,

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stellt noch sinnreicher verwirrtere Fragen, wie auf Nadeln steht er schon, doch noch immer geruht nicht der Herr Kollega sich zu verduften. – Wäre Theodor von ihm eher gegangen da wäre er – „Theodor“ – schon wieder „Josef“ gewesen, besonders jetzt, da sie sich Monde hindurch nicht gesehen, zumal sie beide tüchtig – wie der Lachausdruck lautet – stinkten. – Das Gespräch der Herr Kollegen, das Theodor eine Zeit schien, in welcher er mit seinen von Shlemil geerbten Haxen schon das ganze Afdera-Semlin abgestreift hätte, wurde immer geistreicher und geistreicher, bis Theodor nicht den

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Höhepunkt erreichte indem er den Kollegen eine gute Zigarette anbot, was doch des Herrn Kollegen „ceterum censeo“ gewesen und von dem geistreicher immer geistreicher blieb nichts anderes als ein „gleich-reicht-es“ übrig. – „Servus“ „servus“ und mit dem Endziele seines langen Gespräches – mit der Zigarette im Munde – geht er weiter, ganz vergnügt Theodor wieder einmal nach langer Zeit mit einer Zigarette drangekriegt zu haben. – Eiligst sprang Theodor ins Kaffeehaus hinüber, um sich vor dem Spiegel die zu Hause aufgesetzte, durch das Sprechen

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jedoch in Verlor gegangene Miene zurecht zu massieren. Noch stand er nicht recht beim Spiegel, da rief ihm schon ein auserwählter Marssohn, sonst Schach- und Billard-Narr, mit dem Ausdrucke der größten Freude durch das endliche Wiedersehen entgegen: „Guten Tag; no hát¹ wi gets; lang hab ich Si nicht sehn; machn wir egy sakk partit²?“ „Danke bestens, jetzt ist es mir unmöglich,“ antwortete Theodor. – „No hát vielleicht ein Bilyár³ Partie“ meinte der gute Marssohn – „gib ich achzig auf hundert vor.“ – „Es tut mir wirklich unendlich leid nicht

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¹ no hát: ungarisch für nun.
² egy sakk partit: ungarisch für eine Partie Schach.
³ Bilyár: ungarisch für Billard.

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spielen zu können, denn ich muß gehen,“ erwiederte Theodor mit einer nicht militärischen, jedoch ganz höflichen Verbeugung vor der neuneckigen Krone. „No hát jó,¹ ein andersmal“, „jó nappot,² adjee.“ – „Adieu, auf Wiedersehn.“ – Doch während dem Theodor mit dem andern Reiche der neuneckigen Krone sprach, richtete er schon Etwas, da er vor dem Spiegel stehend sprach – an seinem Gesichte zurecht, somit brauchte er jetzt einige Minuten, um daß er die richtige, vielsagende, geistreiche Miene finde und behalte. – Schon war er bei der Kaffeehaustüre, da ermahnte ihn, mit einem

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¹ No hát jó: ungarisch für na gut, dann eben nicht.
² jó napot: ungarisch für guten Tag.

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„Pardon“ ganz natürlich, jener Herr, den er lieber als Minister des Äussern sehen würde und nicht als Zahlkellner. – Es waren nämlich schon einige Tage nach dem Ersten und der Zahlkellner entschuldigte sich daher bei ihm, da er die Schuld noch nicht beglichen und versprach auch zugleich selbe in einigen Tagen zu begleichen.  – „Aber das macht ja nichts“ meint Theodor „Hauptsache ist, daß Sie die Schuld begleichen werden und auf par Tage kommt es ja nicht an“. – Jetzt ging er aber nicht mehr zum Spiegel zurück, denn

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er fürchtete, daß er vielleicht noch einigen Schuldnern eine Aufschubfrist gewähren wird müssen und daß er sich dadurch noch umso mehr aufhalten könnte. – Der Gedanke aber, daß er mit so einem, durch das Erbarmen mit dem Zahlkellner, Wehmut verratendem Gesichtsausdrucke nicht den Anspruch auf Wagner-Lektüre erheben kann, riß ihn zurück und mit schwerer Mühe brachte er es endlich dennoch zustande richtig ausgerüstet den Spiegel und das Kaffeehaus zu verlassen. –

Auf der Straße angelangt

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grüßte er Niemanden, noch erwiderte er die Grüße, denn es könnte dies seine Miene aus dem Geleise bringen. – Nachdem er sich noch gerne über ein wildrasendes, unvorschriftsmäßig dahinbrausendes Kleinherrschaftsautomobil abgeärgert hätte, von was ihn bloß der Gedanke an seinen glücklich gefundenen und aufgebürdeten Gesichtsausdruck fernhielt, kam er nun endlich ganz abgehetzt zu … zu … – ach ja, sie sah ja wie eine Ente aus – zu Enty. „Aaa …das war schön von Ihnen, daß sie doch einmal

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gekommen; Papa lud Sie so oft ein und … ich freue mich wirklich Sie zu sehen.“ – „Aber geh‘ Enty mach‘ dich nicht so patzig, was sprichst du mich per „Sie“ an; hast schon daran vergessen, da deine Zöpfe von mir ausgezogen wurden ich als „Achtgeber“ in der Schule dich stets [???] ließ?“ – „Du hast recht“ – fügte Enty hinzu. Die Sache der Ansprache war somit abgetan und nun plauschten sie weiter ohne auf einen derartigen, so ziemlich peinlichen Zwischenfall gefaßt sein zu müssen. – Enty erzählte, daß sie eine absolvierte Observatoristin

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sei, am Observatorium die Prüfung mit sehr gutem Erfolge abgelegt habe und daß sie deshalb sich sehr unglücklich in Semlin fühle. – Das ist der Essig ihres Gespräches, das etwas eine Stunde anhielt. – Theodor fiel nur hie und da ins Wort ein – konnte er ja doch nicht zu Worte kommen – und saß schon ganz ungeduldig, denn in seinem Gehirne bebte es --- Wagner. Ohne jeden Zusammenhang sagte Enty: „Aber weißt Du, was mir an Dir so gefällt?“, flüsterte Enty ganz leise. – „Nein“. – Mehr konnte Theodor doch nicht sagen, zumal

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sie schon weiter fuhr: „Das Ruhige, das gelassene an Dir, trotzdem es in Dir nicht gerade so ruhig ist und alles in Deinem Innersten, forschend bebt.“ – Das hat Theodor aber sicher noch keiner gesagt. Er riß die Augen auf, um zu beweisen, daß er diese Worte vollkommen verstand, wenngleich er nicht bei diesen Worten gewesen, sondern in den Gedanken in Wagner schon herumblätterte. – „Darf ich Dich Theodor vielleicht mit Moszart oder einem Schoppen (sprich: Chopin) aufwerten?“ „Es ist wirklich Enty von Dir sehr lieb, aber hab Dank, ich bin noch

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zu urteilen, gleich ansehen konnte, daß sie Entys Mutter sei, - Schade, daß sie nicht auch Enty heiße! „Oooo … Sie doch endlich bei uns?“ „Ja, ich auch endlich da und werde schon gespannt auf Entys Spiel.“ „Enty wird vertragen?“ „Ja, sie versprach es,“ – „Na, Na ……….!“ – Mama war gar nicht aufgebracht darüber, daß Enty allein Theodor empfieng, - Ja, was Enty tat, war wohl getan! Hat sie doch in Wien ausstudiert! – Ist das eine Kleinigkeit? Sie hat im Gänschenpensum (sprich: - Pensionat) viel

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erfahren und gelernt und ist gut ausgerüstet als „tonangebend für zu Hause“ entlassen worden. – Doch zurück!

Alles schweigt im Zimmer … nur Enny spielt Chopins Noctürnen. – Mama wurde durch Ennys Blick entfernt. – Theodor saß nach vorne gebeugt im Sessel, sein gesenktes Haupt mit beiden Händen verdeckend, seine See in Chopins Schöpfungen, sein verwöhntes Ohr bei dem Spiele und Schwing; ja er schwing nach dann als Enny schon aufhörte und sprach. – Wer Theodor kennt, weiß, was für ihn

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ein Schweigen bedeutet. – Lange blickt er Enny verwundert und bewundernd an, brauchte staunend bloß einige Worte hervor und ging, vergessend, daß er um Wagner gekommen sei. –

Tags darauf mußte Theodor fort und so mußte er die Wagner Lektüre dorten lassen. – In seiner Seele stand aber lange, lange Chopin und seine Brust erfüllte noch lange das süße Spiel und die wehmütigen Klänge der Nocturnen waren noch lange seine Begleiter. –

Radala

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19 September 1911.

Mit gelben Blättern, sterbenden Bäumen
Hatte ein rasender Wind sein Spiel
Trieb hoch hin auf und bog sie gewaltsam
Manch junger Stamm zur Erde fiel.
Nicht rauschen die Blättern mehr am Baume
Es schweigt doch schon der höllische Wind
Es regnet und blitzt die Donner rollen
Krachend auf einander geschwind.
Da zog im Mitten solchen Gewitters

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In ein mir liebliches Haus ich ein
Dort fasst ein irdisch göttliches Wesen 
Mich fest ins Aug’ als trat ich ein.
Sein feuriger Blick-dem Blitze gleichen
Zerschmetterte mich-ich wurde klein
Draußen zucken die Blitze und zünden …
Sein Blick schlug in mein Herz ein …

Ra

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4.I.1911.

Himmelwärts zog meiner Liebe Klagen!
In hellem Mondenscheine liegt der Schnee
Demanten gleich im Sonnenschein
In heißer Stube ich voll Liebesweh
Gebrochen sinke hin und weine.
Auf ihre Brust sank ich die zitternd bebt
Grub ein mich ganz in ihrem Armen
Und Alles scheinbar fast in mir gelebt.....
,,Kalt ist mir-drum laß,

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laß mich wärmen …
Himmelwärts zog meiner Liebe Klagen!

Sie, mein Himmel hat gehört dies Klagen!
Gleich nicht kalt war mehr hier auf Erden
Eis und Schnee für mich zerran, zerging …
Vor Kälte fürchte ich jetzt nicht zu sterben …
Der erste Kuss an an ihren Lippen hing –
Und dieses Kusses Flamme weiter loht –
Lass unversehrt der Liebe Siegel!
In meinem Herzen jetzt der Vesuv tobt

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Du tobst in ihm – ich halt' die Zügel.
Sie, mein Himmel hat erhört mein Flehen!

Ra

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039

Sehnsucht!

Müde lenkt ich heimwärts meine Schritte!
Dämmerung hält uns schon fest umschlungen
Da der Tag bald ausgerungen Nachtigallen schlagen süße Lieder
Hing doch schon die Sonne nieder
Schwalben zwitschernd ihre Nester suchen
Da die Jungen sie schon rufen …
Müde lenkt ich heimwärts meine Schritte!
Menschenvoll, doch leer für mich, das Gässchen!
Ganz vergebens schüchtern

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040

meine Augen
wollten nicht ans Leere glauben
Allzuweit von mir ist sie gegangen
Soll`s dem Herze dann nicht bangen
Leer, leer, leer ist`s oben dort auf Bergen
Einsam deshalb ich auf Erden …
Menschenvoll, doch leer für mich, das Gässchen!

Meinen Geist die Sehnsucht hält gefangen
Ihre Seele hält mein Herz gefangen
Nicht zurück will ich`s verlangen
`S leuchten zu mir ihre Augensterne
Durch die Nacht trotzdem so ferne
Ganz in Banden hat sie mich geschlagen

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041

Süß doch sind sie mir zu tragen …
Meinen Geist die Sehnsucht hält gefangen!
Meine Brust erfüllte süße Hoffnung!
Bald zu mir kehrt die Madonna wieder
Setzt sich dort auf‘s Bänkchen nieder
Nicht mehr leer ist‘s oben dort auf Bergen
Einsam bin ich nicht auf Erden
Innig kosend will ich sie umfassen
Nimmer sie dann von mir lassen …
Meine Brust erfüllte süße Hoffnung!

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042

Müde setzt' ich mein Fuß ins Zimmer!
Ganz wollt' mein Geist sie zu mir zaubern
Lassen bald sie ohne zaudern
Nichts ist mir die Welt ohn' ihre Nähe
Glücklich, nur wenn ich sie sehe
Selig, kann ich sie umarmen
Pressen sie mit meinem Armen …
Sehnsucht plagt' mich da im trüben Zimmer!

Ra

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043

Tiberius stirbt!

Auf Kap Miseno, wo aus Felsenspalten
Manche Heldenstirn den Schmuck erhalten,
Steht ein Haus umrauscht von Meereswellen
Gold und silber glänzt an vielen Stellen. –
Oft es zeug’ der nächtlichen Gelage
Das in diesem Haus die einz’ge Plage,
‘S verstummte ein der Silberbecher Klang,
Es graute schon, doch dort noch lebt Gesang. –
Und wenn der Morgentau auf

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Palmen fiel
Noch ehrte man Bacchus beim Saitenspiel.
Doch heute in Lucullus tollen Hallen
Die schweren Vorhäng’ hinunterfallen.
Einzeln stehen dar die hellen Fenster,
‘S dünkt als hausen da jetzt nur Gespenster.
Aus den Hallen schnell Boten ziehen
Andere im Auftrag daher fliehen. –
Und wenn dar einer ausgeht oder ein
Da stehen fragend die Knechte in Reih’n:
„Ist besser schon, wird der Herr

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genesen? …
Still, still – ist das nicht sein Schrei gewesen?”
Sein Ende naht – der alte Tiber stirbt –
Der Sensenmann ein neues Opfer wirbt.
‘S lag sein weißes Haupt in Purpurkissen
Sein Gesicht vom Schmerz verzehrt zerrissen. –
Finstrer war es heut als sonst im Leben,
Nur so wollt er dem Tod sich ergeben.
Wild tobt in ihm des heißen Fiebers Glut
Und langsam, langsam rollt durch Adern Blut.
Nur der Arzt hat diesen Kampf

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gesehen,
Doch auch Marco durfte bei ihm stehen. –
Jetzt erhebt der Greis sich in dem Bette –
„Eis, Eis, Eis gibt mir, es brennt o, rette –
In meinem Haupt' ein Vulkan jetzt doch tobt
Im Busen flammt es, wes ehedem loht’ –
Gibt auf die Wunden Wasser kaltes her.
Da kocht, siedet, nein brennt das Blut so sehr.
Sejan, Drus’, woher diese Gestalten,
Wer rief euch, kann euch die Erd nicht halten?
Wollt ihr Tiberius sterben

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sehen?
Ja schaut, es ist auch um ihn geschehen!
Ich tötet euch – doch weg, laßt mich allein –
Ich komm’ zu Euch – bald endet diese Pein.” –
Jetzt gab ihm der Arzt Arznei zu trinken
Und matt begann er nieder zu sinken.
Scheu blickt er aus den seidenen Kissen:
„Sind sie fort, kann ich sie schon vermissen? 
Vielleicht war’s nur ein Spuk dass ich jetzt sah,
Er quält mich – doch komm’ setz dich zu mir da.
Nachts wenn tief ich schlief, kam

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das oft zu mir –
Es plagte mich – doch andres sag’ ich dir:
Ich fühlt' auch die übermütge Jugend,
‘S lebte einst in mir manch schöne Tugend –
Bald doch wich von mir die süße Jugend –
Schlecht fand alles ich ins Innr’e lügend.
Im Innern faul für mich war jedes Ding
Und Trug und Lug fand ich wohin ich ging.
Vom Tier’ nichts höheres hab' ich gefunden
Tierisches an allem war gebunden. –
Für mich keinen Freund für

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den Freund es gab –
Im Bruder versteckt oft Brudermord lag;
Für mich kein Weib, das treu dem Manne blieb,
Wohin ich lauscht‘ hört‘ ich das selbe Lied.
So die Welt, so bin auch ich geworden,
Schrecken zähmte sie, drum ließ ich morden;
Und in den Kampf zog ich gen diese Welt,
Ich jauchzt‘ zur Qual da ich sie hingestellt.
Ich saugt ihr Blut, viel, viel ließ ich morden
Jetzt genug von dem auch ist mir worden. –
Und nun bin ich gequält,

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050

von wem, wer ist’s?
Gebrochen schau' ich und starre in das Nichts.“
Jetzt nicht weiter kommt der greise Tiber
Und vom Antlitz rann der Schweiß vom Fieber. –
Näher trat Macro: „Soll Herr ich rufen
Caligula, ja soll ich ihn suchen“?
Doch Tiber: „Kriecher, weg, mein Fluch auf Dir,
Was ist dir Cajus, was ist er denn mir?
Noch leb‘ ich, Schlange, was geht er dich an?
Cajus ist alles, nur ist er kein Mann –
Nein, diesen dummen Knaben

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brauche ich nicht,
Der Tod dem Chaos das Szepter verspricht.“ –
Jäh sprang er auf und riß den Vorhang fort …
draußen im Hofe das Szepter lag dort.
Und sinnlos dann schlug er das Fenster zu …
„Macro, weg von mir, listge Schlange Du.“ –
Im Hof‘ vertieft ein Mann stand auf der Wacht
Und ihn begrüßt der Stab in dunkler Nacht.
Er hob ihn auf, nicht wissend was es sei
versank drauf tief in süße Träumerei:
An seinen Wald im Wesertal

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052

dacht er –
Sein Weib er sah, den Sohn mit einem Speer.
Den zweiten schnizt [sic] er sich, wenn auch noch klein …
„Ein Schwert noch gib ihm hin, die Welt ist sein.“ –
Und dann der Wach‘ vom Heimatslande weit
Ein andres Bild das erste hat befreit.
Er sah als Weise sich im Morgenland
Bei dessen Herrscher Tod die Sonne schwand
Und sein Geschlecht sah in das Land er ziehn
Ein Volk er wachsen sah darin und blühn.
Er erwacht – ein Schrei drang

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aus den Hallen. –
Tot ist jetzt Tiber zurückgefallen. –
Die Wache ins Morgenrot schaut jetzt kühn
Ihres Stammes Zukunft sah sie darin!

Ra

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Trugbilder!

1.

Sind das reine Edelsteine
Glitzernd die dort niederliegen?
Nein, es sind des Mondes Strahlen,
die sich auf dem Meere wiegen.


2.

Donnerts? Nein; die schnellen Wogen rollen
die des Menschen Mut zu Grabe tragen;
Blitzt es? Nein; die hellen Lichter zucken,
die dem Trauerzug’s Geleite geben. –
Funkeln Sterne? Nein; die Fackel leuchten,
die des Mutes Grab gefunden

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haben; –
Lacht der Himmel? Nein; die Nächte eilen,
daß den Mut sie aus dem Grabe heben. –

Ra

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056

Reizlos!

Nicht des Meeres saphyrfarbnen Wogen,
die im Glanz des Mondenscheines toben,
Nicht der smaragdfarbne Saum der Wellen,
die im Mondenscheine sich zerschellen,
konnten meine Sehnsucht fesseln
Madonnen nach Dir
Du Alles mir. –

Ra

057
057

 Träumerei!

Wonneberauscht war doch die Abendstunde!
Längst schon schweigt des Tages tolle Treiben,
Hin warf sich der Tag der Nacht zu Füßen,
Und durch Wonne mußt‘ das Aug‘ ich schließen
denn ums Herze ward es mir so eigen.
Neidisch guckt ein Sternlein vom Himmel
durch der Bäume rauschend Blätter nieder
Und im Grase, stimmt ich an manch Lieder
Liegend neben ihr, dem zweiten Himmel. –

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058

Emporgetragen ich die Seele fühlte!
Abendtau aufs grüne Gras sich legte,
Perlen gleich in hellem Mondenscheine,
Freudentränen, die in mir ich weine
Als sich ihre Hand in meiner regte. –
Schatten tanzen glaubte ich zu sehen –
Nichts vor Augen konnte fest ich halten
denn ich fühlt ein wonnevolles Walten
das in höchster Lust mich ließ zergehen.
Und diese Abendstunde ist

059
059

entschwunden!
Ewig doch werd' ich der holden Stätte
Angedenken in dem Busen tragen.
Hier auf Erden in den Jugendtagen
Keine schönere gewünscht ich hätte
Doch wenn einst von Sehnsucht ich getrieben
Leg‘ ich dort ins grüne Gras mich nieder,
Zaubre her die Abendstunde wieder
In der lebenslang ich wär' geblieben. –

Ra

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060

Weltliche Devise!

Wenn ich dort auf Bergeshöhen
jauchzen kann nach Herzenslust
dann erst fühl ich daß ich lebe,
dann erhebt sich mir die Brust …

Freiheit!

Wenn ich hör' des Himmels Mächte
Grollen über alle gleich,
Seh‘ ich gleichgestellt uns alle
Vor dem hohen Himmelsreich …

Gleichheit!

Wenn ich sehe wie manch Tierchen
Eines für das andre tut,
Dann erseh ich, daß in ihnen
rollt ein gleiches, edles Blut …

Brüderlichkeit!

Wenn ich wandle hier auf Erden
durch das Leben für und für

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061

dann bedaure ich das Leben
denn es fehlt ihm alles hier …

Freiheit!

Wenn ich schau' mit offnen Augen
Jede Schöpfung der Natur,
Seh' ich, daß sie ganz verschieden,
Allen fehlt ja eines nur …

Gleichheit!

Wenn ich sehe wie die Menschen
Auf einander zielen los,
dann ich fühle einen Mangel
hier in diesem Erdenschoß!

Brüderlichkeit!

Ra

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062

Sulina!

Noch plätschert die blaue Donauwelle
Noch wiegt sie und treibt sich lustig umher
Und sieh dort! Dort liegt vor Deinen Augen
Die unendliche Flut! Das Schwarze Meer.
Spurlos verschwindet der Donau Größe
Nichts bleibt von ihrer entzückenden Pracht
Und all das, was uns einst so beglückte,
Taucht unter in ewige, dunkle Nacht.
Armsel’ge Donau! Welch trübes

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063

Schicksal
Ereilt Dich besungen wo Du am Ziel –
Noch wogst Du und drohst Du dem kühnen Schiffer
Und dort? …… Ein wehmutsvolles Trauerspiel.

Ra

064
064

Der Liebestod!

Nach Sestos, wo in meerumrauschter
Einsamkeit die Palmen blühen
Und entlang der thrazschen Küste
Goldner Äpfel Reihen ziehen
Aus Abydos, Stadt Osiris‘
zieht das Volk zu hohem Feste
Aphrodite das gegeben
für die hellespontschen Gäste.
Aphrodites Priesterin Hero
da in stiller Lieb entbrannte
zu Leander schönstem Jüngling
der in Gegenlieb entflammte.
Nachts, wo auf dem Hellesponte
Mond und Sterne sind gelegen
Schwamm Leander durch die Fluten

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Auf dem Turm dem Licht entgegen.
Da im Turme voller Sehnsucht
Seiner harrte die Geliebte
die in traumversunknen Stunden
oft den Schmachtenden beglückte
doch vom Wintersturm ergriffen
einst Leander war geworden
Und am Fuß des Turmes Hero
tot ihn sah, es graut der Morgen.
Hero schönster Göttin Priestrin
seinen Leichnam als gesehen
stürzte sich zum Liebes..
von des Wegeweisers Höhe.
Pressend es in ihre Arme
sie der Tod mit ihm verbunden
Nachts in hellespontschen Wellen
sie den Liebestod gefunden.

Ra

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Odysseus!


Und Ilios fiel!
An der Küste, wo Orpheus,
Proserpinas, mit dem Sange,
Herz erweichte, Odysseus
halten konnte endlich lange.
Zwei und siebzig der Gefährten
Ulixes durch der Kikonen
Rachelust als hat verloren
Auf sich macht in andre Zonen.
Naschend an der lybschen Küste
Von der Blum‘ der Lothophagen
War er von des Euro Mächten
Zu den Kyklopen getragen;
Hier Ulixes von Polyphem
Glücklich nur dadurch entkommen,
daß er ihm sein einzges Auge

067
067

Da er schlief berauscht genommen.
Heiß verfolgt ihn drum Polyphem’s
Vater mit den schnellen Rossen
Unversehrt Ai'los‘ Insel
Doch erreicht er mit Genossen. –
Hier Ai'los ihm gegeben
Einen Schlauch in dem die Winde
Eingeschlossen, drum Ulixes
Ziehen konnte ab geschwinde.
Schon glaubt‘, daß er auf Ithakas
Küste werde friedlich wohnen
Kam er durch des Schlauches Öffnen
Zu den rohen Laistrygonen. –
Bloß mit einem einzgen Schiffe
Odysseus weiter schwommen
Auf der Irrfahrt ihn und Mannschaft
Zaub’rin Kirke aufgenommen.
In das Reich des unterirdschen
Zeus, Kirke ihn befohlen
Um sich von Tilphessas Opfer

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Eine richtge Fahrt zu holen.
Skylla und Charybdis Ulix‘
Sechs Gefährten mußte geben
Und bei Helios die Mannschaft
Kämpft vor Hunger mit dem Leben.
Trotz der Warnung des Thebaners
Ulixes als süße träumte
Hoch das Blut des Gottes Stiere
spritzend durch den Hunger schäumte.
Zeus drum das einzge Fahrzeug
das geblieben hat vernichtet
Über die Gefährten alle
Auch ein Blitzstrahl hat gerichtet. –
Auf Ogygia alleine
Odysseus kam gekrochen
Wo Kalypso ihm fürs Bleiben
Ewge Jugend hat versprochen. –
Doch der hohen Götter Willen
Ließ ihn nicht bei ihr verweilen
Baut ein Floß sich und von dannen

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Mußt der Unglückliche eilen. –
Als Poseidon heftge Stürme
Die das Meer gepeitscht gesendet
Ward von Inos Rettungsschleier
Er gen Scheria gewendet. –
Ihn an Alkinoos vom Ballspiel
Nausikaa die Tochter wandte
Großer König ihn mit Schätzen
Reich beladen heimwärts sandte. –
Nun nach zwanzig langen Jahren
Kommt er auf Ithaka wieder
Und als Bettler durch Athena
Bei Eunus läßt sich nieder. –
Hier mit Telemach‘ dem Sohne
Er des Freiers Mord beschlossen,
Der als er vom Heimatsherde
weit, sein Hab und Gut genossen.
In dem nicht gar leichten Kampfe
Er den Sieg davongetragen
Philoitios der Hirte

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070

Half in diesen schweren Tagen.
Jetzt der musterhaften Treue
Ulix' gibt sich zu erkennen …


Lange noch mit Penelope
Konnt‘ er seine Irrfahrt nennen.

Ra.

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12.VI.13.
Donnerstag!

Aus jungen Tagen!

Die Erinnerung ist das einzige Paradies,
aus dem wir nicht vertrieben werden können. –

Von kühnen Zukunftsplänen träumend, sehend die Welt und den Himmel offen liegen; berührt es mich wie ein leiser verträumter Klang, von fern her, von den Gestaden der vermeintlichen Vergangenheit, weit, weit hinter mir, da ich meine schönsten Erinnerungen aus der frühesten Jugendzeit wachrufe, die sich an die Mittelschulzeit größtenteils knüpfen. Die Erinnerung ist noch viel schöner, viel

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traulicher als das Konkrete von ehedem gewesen ist, von was eigentlich das Abstrakte – da die Erinnerung – seine Existenz ableitet. Dies unsagbahre [sic] süße Wohlempfinden, das der Erinnerungszauber ausübt, wenn man schon Jahre der Mittelschule entwachsen. Das legt sich auf Sinne und Nerven, das umschmeichelt mit kosender Zärtlichkeit, nimmt so vollständig gefangen, daß ich für nichts fast mehr klare Gedanken habe, daß ich dasitze und mich von diesen traumhaften Empfindungen einlullen und mich zurückführen lasse in die Jahre der großen, sorglosen Glückseligkeit. Wie im Träume zieht

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alles an mir vorüber, hundert kleine Einzelheiten und Erlebnisse; wie von linder Berührung wachgerufen, erstehen in mir wieder all die Tollheiten, die Streiche der wilden ungestümen Knaben und Jungen, und immer begleitet mich die kleine, schwächliche Gestalt der Mutter, die liebe, die gute, die mit fürsorglicher Zärtlichkeit mich schützt, mich leitet – und die große, stolze Gestalt des Vaters, der niemals meinem wilden Treiben Einhalt gebietete; ach, es ist doch eine Lust, solch eine Jugend verlebt zu haben! Man hat von frühester Jugend an schon das Kraft-

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gefühl: Du wirst ein Mann! Du fühlst die Kraft in dir, den Kampf mit der Welt aufzunehmen. Und das Gefühl macht uns lebensfroh und mutig, so daß man gewappnet in die Welt hinaustritt, daß man keiner Gefahr achtet, nur immer tapfer weitergeht, froh und frei, mit starkem Herzen seinem Ziele entgegen.


19.VI.13.
Dstg.

Volksschule!

Ich kann nicht umhin, ohne nicht an erster Stelle hier all der Tollheiten und Streiche zu gedenken, die ich in der Volksschule begangen. – Volksschule! – Israelitische Volksschule! – Ein

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kleines, niedliches, seit Menschengedenken gelb angestrichenes Häuschen, das ein Hauch der Religiosität umweht, zumal es in der unmittelbaren Nähe der Synagoge steht. – Die braunen Türpfosten und die Schulbänke tragen heute noch, nach 16 Jahren die Initialen meiner Wenigkeit: „A.“ „P.“ – Böse Zungen legten das mit „Armer Pollak“ aus, aber bloß dann, wenn das scharfe Messer – ein solches trug ich doch stets mit mir als richtiges Kind Syrmiens – frische Initialen in die Bänke und in die Türpfosten einschnitt, denn dann gab es

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Haues und das Refrain [sic] „A.“ „P.“ = Armer Pollak“ sangen stets einige Schulgenossen dazu. – Ich verdiente wohl die Prügel; aber wie hätte ich anders meinen Namen mit der heiligen Kulturstätte damals verknüpfen können? Hatte ich doch nicht einmal die blasse Ahnung, daß mein Name, ohne Schaden anzurichten, sondern durch Bubenstreiche für lange, lange Zeit die Hallen der Kulturstätte durchgehen werde. –


Das erste Debut!

Wie heute auch, so hielt

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die Jugend auch damals vollen Schritt mit der Spielsaison. – Zur Zeit, da ich in die erste Klasse kam, war die Hochsaison des Kreiselspiels; – stets unter der Jugend als „Cigra“ besser bekannt. Ich konnte mich nicht hineinfinden volle drei Stunden, so lange der Unterricht meinen unruhigen Geist zu fesseln hätte, ohne das Kreiselspiel zu sein. – Da versteckte ich eines Tages, da ich mich zur Schule zurecht machte die Peitsche in meinen Beinkleidern, den Kreisel in meiner Tasche und ging so zur

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Schule. Die lange Schulbänke wieder waren für diese Spielsaison während den Vortragsstunden ein sicheres Versteck. – Der Bankgenosse versprach vollste Verschwiegenheit zu bewahren, wenn ich ihn auch ein wenig mit dem Kreisel nach der Schule spielen werde lassen. Die erste Stunde verging in Aufregung, denn in mir prickelte schon der Kreisel. – Hecuba waren nur die Striche hinauf und hinunter, mit welchen der Herr Lehrer das „i“- und das „u“-Schreiben beizubringen versuchte.

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Das „i“ war mir meine Peitsche und das „u“ mein Kreisel und statt des Gedankens wie ich das „i“ und das „u“ dem Herrn Lehrer nachmachen könnte, tauchte plötzlich der Gedanke auf, wie ich doch jetzt schon Kreisel spielen könnte, während dem der Herr Lehrer vorträgt. Da sagte ich meinem geehrten Bank- und Schulgenossen, daß ich hinaus verlangen werde um draußen dann Kreisel zu spielen und nachdem ich zurückkehre, kann er, wenn er die Sache diskret behandelt

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Kreisel spielen gehen. – Das gefiel unendlich meinem Bankgenossen. – Ehe ich noch mit dem Zeige- und Mittelfinger zu zappeln begann, nahm ich die Spielsachen zu mir, denn ich war der festen Überzeugung, daß ich die Bewilligung hinausgehen zu können, erhalten werde. – War doch mein Vater der Tempelvorstand und mußte sich doch der Herr Lehrer mit ihm, ja aber auch mit mir gut verhalten!!! –
Der Zeige- und Mittelfinger beginnt zu zappeln ------. –
Der Herr Lehrer sieht das aber nicht. –

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Sie zappeln aber weiter und ----- der Herr Lehrer ließ sie zappeln. Die Ungeduld wächst immer mehr und mehr und noch immer schaute der Herr Lehrer nicht auf mich. – Da ließ ich die Schultasche zum Boden fallen, was des Herrn Lehrers Augenmerk also doch in meine Richtung lenkte und da sah er mich endlich mit zappelnden Fingern.

„Was willst Du?“ – „Bittschen Herr Lehrer hinaus; ich bin jetzt sehr erschrocken als die Schultasche auf den Boden fiel.“ – „Geh' nur, geh' und trinke

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ein wenig Wasser.“ – Ich soll Wasser trinken gehen und er brachte mir doch selbst schon mit seiner Erlaubnis Wasser, --- aber auf meine Mühle. – Vor Freude strahlten meine Augen, aber auch die meines Bankgenossen, war er ja doch auch sicher Erlaubnis hinausgehen zu können zu erhalten, zumal sein Vater mehr als der meinige in der Gemeinde gewesen; – er war Gemeindevorstand.


Ich wäre am liebsten hinausgelaufen, aber

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das ging nicht; aus dem einfachen Grunde, weil ich den Peitschenstock, der in den Beinkleidern versteckt gewesen, mit in der Tasche untergebrachten Hand halten mußte. –

22.VI. Snntg.
Hätte ich große Schritte ausgeholt, da wäre noch zum Unglück der Stock gebrochen. – Darum musste ich mich sozusagen hinausschleichen. Ehe noch die Tür hinter mir geschlossen war, hörte ich den Lehrer sagen: „Der Bube ist aber erschrocken.“ Aufgrund dieser Äußerung nahm ich mir vor länger draußen zu bleiben. Was ich mir vorgenommen, habe ich auch ausgeführt. Noch nie hatte ich meinen Kreisel mit solcher Wonne

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gepeitscht als damals. Und in dieser Wonne schwelgend überschritt ich sogar die Zeit welche draußen zu bleiben ich mir vorgenommen. Das ärgerte derartig meinen Bankgenossen, zumal er dadurch verkürzt wurde, daß er dem Lehrer, der schon auch ungeduldig geworden, sagte, was ich draußen tue. – Ich würde vielleicht meinen Kreisel bis zum Schluße des Vormittagsunterrichtes gepeitscht haben, wenn mich nicht frisch persönlich der Herr Lehrer bei den Ohren in die Klasse hinein geführt hätte. –


Zum erste Male erkannte ich den Zweck und die Wirkung des in der Schule sich befindenden

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spanischen Rohres. – Die Schande vor den Schulgenossen – als erster und noch dazu als Sohn des Tempelvorstandes geprügelt worden zu sein, das spanische Rohr – die Ouvertüre: Ohrenziehen, – die Furcht vor einer schlechten Note – all das hätte ich verschmerzen können, wenn mir nur nicht der Herr Lehrer den Kreisel und die Peitsche weggenommen hätte. –


Einige Tage darauf sah ich meinen Kreisel und meine Peitsche im Besitze des Herrn Lehrers Enkel – ebenfalls ein Schulgenosse. – Ich verlangte mein Eigentum äußerst

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höflich zurück, doch als ich es so nicht erhielt, kam ich in die Fußlappen seines Großvaters, des Herrn Lehrers, und so kam ich wieder zu meinem Kreisel. Rasch eilte ich damit nach Hause, bewahrte ihn gut auf und habe ihn nimmermehr in die Schule mitgenommen. – Des Lehrers Enkel erzählte wohl von der Rückeroberung des Kreisels, doch unter solchen Umständen wie diese geschah, musste sie auch der Herr Lehrer gutheißen. – aber nur vor Angst, dass ich dem Vater aus der Schule plappern werde; –


 

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war doch mein Vater Tempelvorstand und ich ----- sein Sohn. –
Am meisten – da ich den Kreisel aber schon hatte, ärgerte mich das Verräterische des Bankgenossen. – Ich wollte ihn auch deshalb durchprügeln, aber ich überlegte es mir …


war doch sein Vater Gemeindevorstad und er ----- sein Sohn.

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24.VI.13.
Dienstag!

Die Grillen!

Ich galt als der Stärkste unter den Schülern. – Keiner von den Mitschülern wagte, mit mit mir einen Ringkampf aufzunehmen. – Ich hatte aber auch Kraft! Der Turnplatz des Militärs, der sich an der Peripherie des Stadtparks befand, war vor dem Schulgang meine Quelle, aus der ich Kraft schöpfte. Die Kraft wurde noch dadurch gestählt, da ich oftmals mit dem daselbst wachhabenden Soldaten zu tun hatte, nämlich ich mußte durchgehen. – Das hieß so viel, daß ich von den höchsten Turngeräten oft hinunterspringen mußte um noch rechtzeitig den

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Prügeln zu entkommen. – Das stählte aber die kleinen Beine!! Doch es gab auch andere Quellen, aus denen ich physische Kraft schöpfte. An psychische dachte ich damals noch nicht. – Aber heute glaube ich, daß ich mir schon damals des lateinischen Spruchs: „Mens sana in corpore sano“ bewußt war.


Da gab es nämlich einen Zwetschgenbaum hinter der Kaserne; der Zutritt zu dem war nur so möglich, daß man die Mauer erklettert, die ziemlich hoch gebaut war. An dieser Mauer, der Zwetschgen ganz natürlich zuliebe, stählte ich meine Armmuskeln; die Zwetschgen

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erreichend, stählte ich meine Kiefermuskeln. – Waren es ja doch harte, grüne Zwetschgen! Aber auch die Beinmuskeln erhielten Zuwachs, wenn es abermals hieß zu entwischen. – Als weitere Kraftquelle galten mir die Maulbeerenbäume: Keiner war mir zu hoch. – Die zu erklettern war zugleich stets eine Probe für das Erklettern des Maibaumes, der am Geburtstage unseres geliebten Kaisers im Park aufgestellt wurde und an dem manch hübsches Zeug hing. Den konnte ich aber nie erklettern, denn er war mit Seife und Salben geschmiert und ich war

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damals noch nicht so wie die anderen, die ihn erkletterten mit Salben geschmiert, nämlich mit Kolophonium. – Aber bis zur Hälfte des Maibaums und noch weiter kam ich schon – und das, gab doch auch Kraft! Ferner stärkte das Klitschen im Winter ja auch die Beinmuskeln; ich erwähne es aber hier mehr darum, um den Mannen der vielen dabei verunglückten Schuhe ehrerbietigst eine Locke zu weihen um auch gleichzeitig des selig entschlafenen Herren „Prügel“ zu gedenken, der oftmals aus dem Grabe stieg und den verunglückten Schuhen

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beistand. – Auch lange Märsche machte ich mit. – Wohl nicht sehr viele, denn die Militärmusik war bei uns ein seltener Gast. – So oft sie aber da war und an einer großen Übung teilnahm, lief ich mit. – Wenn ich dann da verspäten nach Hause kam – und ich kam es auch, denn ich musste bis zum Schluße der Übung bleiben um mit der Musik den Heimgang antreten zu können – da lief ich aber nicht mehr mit, sondern davon, denn Herr Prügel stieg aus dem Grabe um mich nach meinem Fernbleiben zu befragen. – Mit

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Toten wollte ich nicht sprechen, deshalb lief ich davon. – Das gaben [sic] aber Beinmuskeln!!! Viel, viel giebt [sic] es wohl noch was zu meiner Kräftigung beitrug. – Es fällt mir aber nicht alles ein; es genügt ja aber schon das hier Angeführte um zu ersehen, daß ich ein kräftiger Kerl, dem die Waghalsigkeit beistand, gewesen [bin]! Eben meine Kraft war Schuld daran, daß ich abermals mit dem Herrn Lehrer in Konflikt geriet. Die Schulgenossen nämlich frozelten mich, daß ich trotz meine Kraft den Geisterboden

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dennoch fürchtete. – Ich soll ja von den Grillen sprechen! – Verzeiht, ich muß mich aber vorher beim Geisterboden aufhalten. – Geisterboden!! Ein schreckliches Wort! Kalt überlief es mich, da ich den Entschluss fasste, so etwas anzurichten um zur Strafe auf den Geisterboden zu wandern. – Doch der Gedanke, daß ich mich dort auf dem Geisterboden brav aufführen werde tröstete mich ein wenig. – Hörte ich doch oft die Älteren sprechen, daß wenn man mit Geistern höflich umgeht, sie einem nichts antun. Zurück also zum Geisterboden!

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Das ist der Boden der Synagoge. – Dort halten sich die Geister auf!! ?? !! So ging die Fama durch die Schule damals und vielleicht heute noch. – Und dahin soll ich gerade wandern!! Ich hatte wohl Angst; doch, gehe ich nicht dahin ist mein Stärkerenommée gefährdet. Eine schwere Wahl hatte ich jetzt. – Entweder das Renommée einbüßen oder auf den Geisterboden wandern. – Büße ich das Renommée ein, so bin ich das Spottkind der Schule und „Simson“ – so wurde ich genannt – soll sein Renommée einbüßen? Nein, das ging nicht. – Dieser Entschluß

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war also reif in mir. Doch was jetzt anstellen um auf den gefürchteten Geisterboden zu gelangen? Um zu dieser Ehre zu gelangen, mußte man schon Tüchtiges leisten. – Sei nicht ungeduldig lieber, allerliebster Leser(in), ich komme schon zu den Grillen. Du denkst etwa, daß ich Grillen habe, indem ich dich solange um den Kirchturm führe. Nein, nein ich habe sie noch nicht – ich muss sie erst einfangen. –


Um Grillen einzufangen lief ich von der Nachmittagsschule auf dem von der lieben Eltern Wohnung unweit gelegenen

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Kalvarienberg. Ein kleines, dünnes Stöckchen nur steckte ich in das Wohnhaus der Grille und gleich erschienen sie; ich fing sie ein und bewahrte sie in einer kleinen Zigarettenschachtel auf. – Nachdem ich einen recht tüchtigen Sängerchor bestehend aus Grillen eingefangen, lief ich nach Hause, nahm die Bücher und ging so mit Freude und Angst in die Schule. – Freude wohl, ob dem zu gelingenden Bubenstreiche – Angst ob dem mit schrecklichsten Sagen umsponnenen Geisterboden. – Ehe der Lehrer eintrat, hielt

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mein Grillenchor Generalprobe. Das ging ja alles wie auf dem Schnüre! Die zwei Ältesten sangen Bass II.; die drei Mittleren Bass I.; die 4 Jüngeren Tenor II.; und die fünf Jüngsten Tenor I. – Ein Federstiel war mein Dirigentenstab. Das klappte alles, wie bei einer Premiere! – Diese herrlichen Staccatis, das warme Piano, das wehmütige Pianissimo, dann wieder, die in Fortissimo gehaltenen Triller – die eigentliche Spezialität der Sanger – die ein echter Tiroler Jodel nicht besser zu singen vermag, ja, das alles mußte die

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Angst vor dem Geisterboden in den Hintergrund stellen. – Ich dachte sogar daran, wie ich mit meinem noch nie dagewesenen, gut geschulten aus besten Kräften bestehenden Quartett ein Konzert geben werde, zudem ich meine Schulgenossen einzuladen gedachte. – Ja, sogar bei freiem Eintritt diesmal und nicht bei Entrée, wie es gewöhnlich bei meinen Circusvorstellungen gewesen. - - - - - 
Die Generalprobe war zu Ende! Der Herr Lehrer trat ein! Der Vorhang soll also meinerseits gehoben werden – das Spiel

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kann mit dem Beginn des Unterrichtes beginnen! Wie gewöhnlich im Leben, hatten nicht die Sänger, sondern der Dirigent Trema. Aber bald faßte sich der Herr Dirigent – munterte die Sänger auf und – – noch schöner und heller als bei der Generalprobe klang der Sang. – Waren doch infolge Anwesenheit des Herrn Lehrers die Schulgenossen ruhig, wodurch der Sang zur vollsten Geltung kommen konnte. – Die Sänger dabei noch in Stimmung, zumal das Haus ausverkauft gewesen. –
Der Herr Lehrer horcht auf!

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„Wer singt das in der Schule?“ –
„Bittschen Herr Lehrer nein, draußen singt jemand“. –
„Aber was draußen“?
Er spannt die Ohren besser!
„Das sind ja Grillen“!
Er geht den Banken entlang – die Grillen singend; ich zitterte vor Angst – den Dirigentenstock legte ich zur Seite schon, doch meine Sänger sangen ohne dirigiert zu werden, weiter. – Da blieb der Herr Lehrer bei meiner Bank stehen. Er schaute unter die

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Bank und fand da auch die tüchtigen in der Schachtel eingeschlossenen Sänger. – – –
„Also du hast Grillen?“ „Bittschen Herr Lehrer ich habe keine Grillen!“ –
„Du traust dich noch zu lügen?“ –
„Bittschen ich hab keine Grillen. – Mein Vater sagt, daß ich Grillen habe, wenn ich schlimm bin und jetzt habe ich ja nicht getan.“
„Du Schurke!“
Nach kurzem Besinnen: „Hinauf auf den Geisterboden; ich werde dir dort geben! Grillen in die Schule mit

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bringen?!“
So alles einz war mir das jetzt doch nicht auf dem Geisterboden zu wandern-------
aber mein Renomée und um das handelte es sich ja, um [sic] drehte sich ja das ganze Konzert! Betrübten Herzens ließ ich den Sängerchor zurück und wanderte als Delinquent mit dem Herrn Lehrer. Er öffnete, nachdem wir einige Stiegen hinaufstiegen, die mir als der Weg zum Schafott schienen, – öffnete der Herr Lehrer die Tür – es schien mir als öffne sich der Hölle Rachen –

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stieß mich hinein und sperrte die Tür ab. Ich blieb wie versteinert fast bei der Türe stehen; – war ich doch am Boden wo die Geister hausen! – Vor mir eine egyptische Finsternis und hier und dort guckt bloß ein Sonnenstrahl gespenstartig durch die verwitterten Dachziegel hinein. – Schwarze Gestalten bewegen sich und auf dem Boden sieht man wieder weiß-schwarze Gestalten liegen. – Ich glaubte in ihnen die bösen gehetzten Geister zu sehen! Auf dem

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Dache singen die Drähte und es däuchte mir als wäre das ein Klagelaut der büßenden Geister…


„Die Drähte singen hoch am Mast, ein starkes Klingen meilenweit, verwundert lauschen Baum und Feld dem Harfenspiel der neuen Zeit. – Kein Windhauch rührt die Saiten an, wer weckt im toten Mund den Ton? Ists ein verhohlner Klagelaut der Urkraft, die verdammt zum Tron [sic] ?".


 

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Kein Wort kam aus meinem Munde um ja nicht die Geister zu beleidigen. –  3.VII.13. Dstg.
Nachdem ich mich ein bischen aufgerafft, ging ich einige Schritte nach vorwärts, stets mich vor den Geistern verbeugend. – „Was wurde aus dir Simson“ dachte ich in mir. – Während dem ich vorwärts ging, stieß ich in der Dunkelheit auf etwas Weiches zu gleicher Zeit mit Fuß und Antlitz. Da dachte ich, daß mein Ende sei, zumal ich auf einen Geist getreten. – Ich blieb aber trotzdem am Leben. – Da riß ich einige Dachziegel auf und und [sic] freundlicher Sonnenstrahl beleuchtete meine Umgebung, die aus nichts anderem als aus alten Gebetbüchern,

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und Adjnotierungen der einstigen Tempelchorknaben bestand. – Das waren die Geister! –
Hellauf lachte ich auf, zog mir ein Chorbubenkleid an und begann fromme aber auch Gassenlieder zu singen. – In solcher Stimmung verbrachte ich eine ganze Stunde fast auf dem mir so traulich gewordenen Geisterboden. Der Herr Lehrer kam mich abholen und sah mich zur größten Überraschung in der Uniform eines Chorknaben. – Und gerade von diesen alten, schwarzen, herumhengenden Uniformen hielt er sicher, daß sie mir Todesangst und Respekt einflößen werden. Ich legte das Kleid ab und verließ mit dem Herrn Lehrer diese so liebliche Stätte, die man

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heute noch Geisterboden nennt. – Lächelnd trat ich in der Schule ein – die Schulgenossen wollten sich’s kaum glauben, daß ich noch lebe. –


So behielt ich mein Renomée und galt jetzt nicht mehr als „Simson“, sondern noch mehr – als „Bar-Kochba“. – Ich erzählte ihnen nachher von dem so heimlichen Geisterboden, der bald darauf unsere Besuche erhielt. – Das waren aber doch keine „Bar-Kochba“, denn ich war der erste, der dort zur Strafe untergebracht wurde. – Der Herr Lehrer versprach mir aber, daß ich nächstens, sollte ich Ähnliches anstellen in die Totenkammer wandern werde. Von dem aber ein

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anderes Mal. –––


Und was geschah mit meinen Sängern? Der Herr Lehrer setzte sie ganz einfach ins Freie und möglich singen deren Nachkommen noch heute manch Jugendliedchen um das Haus des Herrn Lehrers, da ich die Vorfahren aus dem sanften Schlafe wecke. –


Das sind des Herrn Lehrers Grillen und meine Grille war der Geisterboden. –

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Das erste Triumvirat!

24.VII.13

Der vielbegehrten, von England jedoch am heißesten begehrten, afrikanischen, im Besitze der Buren sich befindenden, Goldfeldern, kam es zum Kriege zwischen den Buren und Engländern.
Ein Jugendspiel – Pisar wörtlich übersetzt: – Der Schreiber – genannt, war die unmittelbare Folge dieses Krieges. – Infolge dieses Spieles kam es zwischen der Schuljugend zu einem Nationalitätenstreit, aus welchem wieder das erste Triumvirat hervorging. Dieses wieder führte zu tüchtigen Vermoppelungen

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und Niederlagen, die uns dann mit Karzer bescherten. Das ist wohl leicht hier so flüchtig aufzuzählen, die Ursachen und Folgen anzuführen, doch wie geschah das alles, wie kam es, daß der Krieg, der zwischen den Buren und Engländern wütete, die Ursache zu solch großem Verhängnisse gewesen?? Ich will es hier nun ganz deutlich, wohl nicht per longum et latum klarlegen. –


Die heißumstrittenen afrikanischen Goldfelder werden mit Menschenblut getränkt, die Kriegsfurie hält

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grausames Gericht, Brüder von ehedem stehen sich feindlich gegenüber, alles um des lieben Goldes willen, und Mars führt das Glück bald rechts, bald links, bis er es nicht endgültig auf Seiten der Engländer zurückläßt. Dort war der Krieg bereits zu Ende und die Schuljugend setzte diesem Kriege in dem Spiele „Pisar“ ein fast ewiges Denkmal. – Worin besteht eigentlich dies erwähnte Spiel? –

In der Erde wird eine kleine Höhlung ausgegraben. – Ist ein Messer bei der Hand oder ein spitziges Stöckchen so geschieht es mit

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diesen Werkzeugen; ist keines von diesen Werkzeugen vorhanden, so leisten die Finger und Nägel die gleichen Dienste. Zu Letzterem mußte man selten greifen, denn welch Sremer Kind trug nicht ein Messer bei sich? War das Löchhen [sic] fertig, kam der Gummiballen hinein – einen solchen trug fast jeder bei sich. – Am Samstag jedoch, wo man ein anderes – das Festkleid – erhielt, trug man den Ballen nicht bei sich. Spielen wollte man doch oftmals auch am Samstag. Da halfen die Taschentücher, die mit einer Fensterschnur gewöhnlich, welche vom erstbesten Fenster

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abgeschnitten wurde, zusammengebunden wurden, eventuell noch naß gemacht, um auch die Härte des unendlich harten Gummiballens zu ersehen. Nun die Hauptperson: der „Pisar“! Dieser wurde gewöhnlich von den Schülern gewählt; der erste „Pisar“ war stets schwächste stärkste, aus Gründen, die man aus meinen späteren Ausführungen herausbekommt. – Dieser „Pisar“ trug alles auf einem Papier ein, aber nicht beim Namen, sondern nach der Nationalität, welcher er ad hoc angehörte. War zufällig kein Papier zur Hand, so

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wurde auf den Mauern Register geführt. – Der stärkste im Spiele war allerdings stets der „Engländer“ – der zweitstärkste unbedingt der „Bur“. Dann kamen: Magyar, Deutscher, Russe, Österreicher, ja auch Liliput und „Moischi“. – Diese „Nationalitäten“ hatten sich rings um den Ballen aufzustellen. – Der „Pisar“ stand in einer kleinen Entfernung. Rief er eine „Nationalität“ auf, so musste diese den Ballen ergreifen, und den davonrennenden anderen „Nationalitäten“ nachwerfen. – Traf er jemanden, so bekam der Getroffene einen

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Punkt vom „Pisar“. – Traf er nicht, so bekam der Nichttreffende einen Punkt. – Wer sechs solche Punkte erhielt dem meldete der „Pisar“, daß er „im Feuer sei“. – Hatte einer schon 10 Punkte, so wurde er aus dem Spiele als „kampfunfähig“ bis zur nächsten Runde ausgeschallten [sic]. – Wer zum Schluße die wenigste Anzahl der Punkte besaß, der war der „Pisar“ in der nächstfolgenden Spielrunde. – Es handelte sich also hier, je tüchtiger zu zielen und je mehr „Kampfunfähige“ zu machen. – Ich war

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da ein gefürchteter Kerl. Viele gerieten durch mich „ins Feuer“; denn nicht nur, daß der Pisar das Insfeuergeraten bekannt gegeben, sein Rücken hat ihm auch das Gleiche schon vorher gemeldet. – Ich war doch der Engländer und schon damals verlegte ich mich aber nicht nur auf den Buren sondern auch auf den Russen, dem oft der Rücken brannte. – Sie atmeten alle leichter auf, da sie sahen, daß ich in Folge der am wenigsten besitzenden Punkte der künftige Pisar sein werde, und daß es dann

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nur einfach Brände geben wird, von denen der Pisar und nicht der Rücken weiß. – Das war also ein förmlicher Kampf zwischen „Nationalität“ und „Nationalität“ alles durch den „Buren Engländer“ Krieg hervorgerufen und dieser Kampf dauerte auch dann noch an, wenn wir nicht mehr zum Spiele bereit den Ballen umstanden. –
Wo immer sich nur die Schuljugend befand, gab es Reibereien zwischen den Nationalitäten und jeder verteidigte wohl seine „Nationalität“. Eines Tages taten sich alle Nationalitäten zusammen um gegen

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mich und noch zwei andere mir Ebenbürtigen und gefährlichen loszugehen. Ich kam rasch auf die Spur dieser Verschwörung. – Ich berief meine zwei Helfer, erklärte ihnen die Gefährlichkeit der Situationen und wies auf die Gefahren hin die uns einzeln drohen, zumal sich alle solidarisch gegen uns richten. – Da blieb nun nichts anderes übrig, als mit den Zweien zu paktieren. So kam es zum „ersten Triumvirat“. – Caesar, Crasso und Pompeius haben ein Schutz- und Trutzbündnis geschlossen und somit trat nun die Möglichkeit ein daß wir den numerisch

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überlegenen Feind wenigstens in Schach halten werden können, wenn schon nicht besiegen. Noch heute, indem ich diese Zeilen niederschreibe, schwebt mir vor Augen das selbstbewußte Erscheinen und Auftreten des Triumvirats. – Ehe es noch geschah, sah man uns aus den Augen die Freude ob dem künftigen Siegeszuge leuchten. – Wer bildete nun das Triumvirat? Meine Wenigkeit wie anno dazumal, Feri Garach und Emil Leon. Drei Männereinmesser! Es wäre nicht schwer herauszufinden wer von uns dreien Caesar

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oder Pompeius gewesen. Kraft hatten wir; und Ruhm; ach, wir waren ja berühmt! Kraft hatten wir, und Ruhm, ach, wir waren ja berühmt. – Aber der Crasso, der eigentliche Geldman [sic] fehlte zwischen uns. – Die gemeinschaftlichen Wocheneinnahmen von insgesamt 20-30 Kreuzer bildeten die gemeinschaftliche Kriegskassa, den eigentlichen Crasso. Geld brauchten wir bloß deshalb um die Kriegserfolge würdig, beim Konditor, mit 1 oder 2 Krempitten zu feiern. – Zum eigentlichen Kriegführen brauchten wir kein Geld. Gewehrkolben, mit denen größtenteils Krieg geführt wurde,

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gab es in Hülle und Fülle in unserem Munitionslager, im Stadtpark. – Geschossen wurde prinzipiell nicht, zumal das nicht dem modernen Kriegführen entsprach. – Bajonette hatten wir auch genügend am Lager, zumal wir die spitzigen Holznadeln aus unserem Park – frei – Munitionslager zu Hause schon aufbewahrten, mit Ausnahme derjenigen, welche schon am Gewehre angebracht waren. – In 2 Tagen war unser Heer mobil gemacht; wir blieben in der Defensive und warteten alltäglich auf den Angriff. – Wir waren im Park, hinter der

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„Kula“ verschanzt und der Feind lag uns gegenüber in seiner ganzen Übermacht. Etwa 20 gegen uns drei! Einige Tage vergingen und kein Angriff will erfolgen. Wir warteten bis abends, doch nichts rührt sich. – Da zog Feind und Freund ab, beide ließen die Positionen auf um sich nicht infolge späten Eintreffens zu Hause schon geschlagen zu geben. Am nächsten Tag, wurden die alten Positionen aber wieder bezogen. Diesen Sollstand nutzten wir allerdings aus, indem wir auf die „Kula“ Sandbomben hinauftrugen, welche

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eine derartige Wirkung hatten, daß nicht die Bombe selbst platzte, sondern die Stelle wohin sie fiel; besonders günstige Wirkung hatte diese Bombe, wenn sie auf den Kopf fiel. Diese Bomben stammten von Firma: Stadtpark Kieselstein. –
Die Vorbereitungen waren nun zu Ende. – Der Feind ruht noch immer. Der Plan war strategisch glänzend. – Wir hatten einen gutbegabten Spion und da erfuhren wir, daß die Hauptmacht, bestehend aus 10 Mann dazu bestimmt uns von der Rückenseite anzugreifen und die Süd- und Ostarmee

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bestehend aus je 5 Mann wird die Flankenangriffe, attackenartig besorgen. – Das zu wissen war ja eine kolossale Erleichterung für uns. Nach 10 Tagen unnützen Biwakierens, erfuhren wir endlich, daß trotz Ruhetages am nächsten Samstag die „Kula“ im Sturme genommen werden soll. – Der Samstag war deshalb erwählt, weil der Feind wußte, daß das Triumvirat sehr eitel ist und daher auf das Festkleid, das es Samstag anlegt, sehr achtgeben wird müssen und aus Furcht, daß dem Festkleide was passieren könnte,

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nicht so waghalsig und kühn vorgehen werde. – Der Feind täuschte sich aber gewaltig. – Wissend, daß der Generalansturm Samstag erfolgt, blieben wir in unserem Alltagsgewande. – Wer wird denn in Kriegszeiten auf Putz noch etwas geben? Dem Feinde war das nicht so ganz recht uns im Alltagsgewande zu sehen. – Doch er konnte nicht anders; für heute – Samstag – ist der Generalansturm bestimmt. Von weitem sahen wir, daß der Anführer – Herr Richard Weiss – zu einer Besprechung die Soldaten verbandelte, daß er stets mit der Hand etwas auf uns zu zeigen hatte und

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die Soldaten dann in 3 Teilen nach verschiedenen Richtungen einige Schritte vormarschieren ließ. – Da wußten wir schon, daß der ernste Moment gekommen sein musste. – 31.VII.13. --
Rasch hatten wir auf unserem Bollwerke, das nach den Gesetzen der modernsten Festungsbaukunst ausgestattet war, Aufstellung genommen. – Ich stand bewaffnet und überbewaffnet auf der Ostseite, von woher die größte Gefahr drohte, zumal gegen den Ostsector die Hauptarmee vorrückte. Von der Süd- und Nordseite rückten kleinere Abteilungen vor, um den Rückzug abzusperren. – Bloß die

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Westseite blieb unbewacht, zumal doch da die Nadelbäume ein natürliches Hindernis schon an und für sich für eine eventuelle Flucht aus der Festung bildeten. Die Hauptarmee versuchte sich zuerst tüchtig zu verschanzen und dann erst das Bombardement aufzunehmen. – Kanonen hatte der Feind vom gleichen Kaliber wie die unsrigen; alles von der Firma Stadtpark Kieselstein bezogen. – Unsere Verschanzungen waren schon einige Tage vor dem Generalansturm fertig. – Die Bänke die sich auf der Kula befanden waren schon ohnehin

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ein gewaltiges Hindernis, doch die Glassplitter die rings auf den Festungsmauern angebracht wurden, waren für den Feind noch gefährlicher. – Alles in allem genommen, wir waren, zumal wir noch in der Defensive waren, im Vorteil.


Das Zirpen der Grillen störte bis nun die Nachmittagsruhe des in üppigem Grün aufgefunden Parkes. Ab und zu war lustiger Vogelsang zu vernehmen, der uns diesmal wie Kriegsfanfaren schien. Doch inmitten dieser Ruhe hörte ich plötzlich ein Rauschen im an

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der Ostseite sich befindenden Gebüsche. –
Der Feind rückte bis an die Festungsmauer vor und versuchte nun dieselbe zu erklettern. Zur selben Zeit griffen auch die anderen 2 Flügel die Festung von verschiedenen Seiten an. – Während dem diese 2 Flügel mit Bomben und Kanonen empfangen wurden, welches der Feind jedoch mit Gleichem beantwortete, ohne dabei zu treffen, zumal die bei den Kanonen Stehenden in den erwähnten Bänken einen trefflichen Panzer fanden –

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schickte ich mich nun langsam an die sich entwickelnde Pyramide, aus aufeinandersteigenden Soldaten bestehend, zum Falle zu bringen. – Nachdem ich einige tüchtige Stiche mit meinem Bajonette austeilte ohne das [sic] dabei Blut geflossen wäre – führten wir doch einen modernen, menschlichen Krieg – begann die Pyramide ein wenig kleiner zu werden, zumal die obenstehenden ganz einfach absprangen. Lag doch vor mir die Hauptmacht, war ich auch gefaßt, daß die

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[die] Abspringen rasch durch neue Kräfte ersetzt werden könnten, somit verließ ich nicht meine Position um den anderen, die sich in bedrängter Lage befanden, zu Hilfe zu eilen. – Diesmal ließ ich die Pyramide hoch aufbauen. – Als sich der letzte Mann der Pyramide bereit sah Handgranaten in die Festung zu werfen, sprang ich hervor, packte ihn mit eisernem Arme bei der Hand und zog ihn so in die Festung hinein – entwaffnete und band ihn an Füßen und Händen, erklärend ihn als

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Kriegsgefangenen. – Infolge dessen war es um die Moral der Hauptarmee getan. Nachdem auch die 2 Flügel sich zurückziehen mußten, nachdem sie den ganzen Vorrat an Munition durch lauter tote Treffer aufgebraucht, kamen die anderen 2 mir zu Hilfe und die Hauptarmee erlitt eine schwere Niederlage. Der Rest der Hauptarmee ergriff panikartige Flucht auf welcher er von unseren wohltreffenden Schrapnellen begleitet obendrein wurde. Die schon geflohenen zwei Flügel warteten

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auf die Reste der Hauptarmee, mit welcher sie sich zu einer Streitkraft vereinten. – Nach kurzer Pause kam von den vereinten Kräften ein Angriff; diesmal bloß von der Nordseite, welcher aber zurückgeschlagen wurde. – Wir verließen trotzdem nicht unsere Positionen, da sich der Feind noch immer nicht gänzlich zurückzog. Wir taten es auch gut, denn in wenigen Minuten wurde der Angriff erneuert. – Da uns nun auch der Vorrat an Munition ausging, kam es zu einem fürchterlichen Bajonettkampf, welcher

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mit der feindichen Niederlage endete. Die Ursache, daß der in Übermacht sich befindende Feind im Bajonettkampfe unterlag ist darin zu finden, daß unsere Bajonette von der Firma: Hartholz, des Feindes Bajonette von der Firma: Weichholz bezogen wurden. – Sei der Niederlage wo immer schon die Ursache zu suchen, der Feind erlitt sie und nun bat er um Waffenstillstand auch zum Zwecke der Friedensverhandlungen. – Nachdem wir doch auch genügend

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erschöpft waren, willigten wir in den Waffenstillstand ein. – Der eine Gefangene wurde sofort freigelassen – was sonst nicht in modernen Kriegen vorkommt – indem er das Ehrenwort verpfändete an eventuellen Kämpfen nicht mehr teilzunehmen. Nach kurzen Verhandlungen kam ein 10 tägiger Waffenstillstand zustande; während dieser Zeit muß der Friede unterzeichnet werden, widrigenfalls, falls keine Einigung erzielt wird, ist der Kriegszustand mit 24 ev. 48 stündiger Kündigungsfrist wieder

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eingetreten. – Die Friedensverhandlungen haben nun auf dem Schlachtfelde begonnen. – Nachdem im Kriege doch das Militär der Hauptfaktor ist, wurde auch das selbe zu den Verhandlungen herangezogen. Dort, wo die Hauptarmee die erste Niederlage erlitt, also vor den Mauern des Ostsectors war der Verhandlungsort. Wir stellten die Friedensbedingungen auf, die der Geschlagene anzunehmen hatte ohne jeden Widerspruch und Abänderung, oder sie nicht anzunehmen und den Krieg fortzusetzen. Die Bedingungen seien

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hier angeführt:

1. Zur Beilegung des Konfliktes, darf die Großmacht „Königreich Lehrer“ – nicht herangezogen noch vom Konflikt in Kenntnis gesetzt werden.

2. Jede Intervention anderer Mächte, besonders der „Kaiserreiche Eltern“ wird abgelehnt. –

3. Das Territorium: Tempelhof, Judengasse bildet das ausschließliche Eigentum des Triumvirats. – Der Besiegte kann jedoch einige Privilegien auf diesem erhalten.

4. Sofortige Demobilisierung beider Armeen nach Unterzeichnung der Friedenspräliminarien.

5. Der Besiegte erhält

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die westlich liegende Gasse der Kaserne, während dem der Sieger die östlich liegende für sich behält. –

6. In den neuen Gebieten dürfen erst nach 14 Tagen Rekruten ausgehoben werden. Die Armee hat aber auf dem Friedensstand zu bleiben. –

7. Der Besiegte hat den Siegern die Priorität auf der Halbinsel „Volksschule“ zu anerkennen.

8. Der Sieger erhält eine Kriegsentschädigung in der Höhe, welche die nachträglich festzusetzende Finanzkommission bestimmen wird und deren Beschlüssen der Feind

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sich zu fügen hat.

9. Bei Nichteinhaltung des Vertrages ist der dabei Verletzte berechtigt sofort diesen Umstand als casus belli zu betrachten und ohne Kriegserklärung die Feindseligkeiten zu eröffnen. -

10. Dieser Vertrag tritt in Kraft sofort am Tage der Unterzeichnung.


Kommentar!

Ad 1. Wer die Großmacht „Königreich Lehrer“ von der Beilegung des Konfliktes in welcher Art und Weise immer verständigt, ist als Vaterlandsverräter zu betrachten. – Als

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solcher wird er gepeitscht und über die Grenze, d. h. über den Tempelhof und über die Judengasse hinaus, abgeschoben. –

Ad 2. Sollte sich eines der „Kaiserreiche Eltern“ ins Mittel legen, so ist der ganze Vorfall ganz einfach abzuleugnen. Der Dawiderhandelnde ist als infam zu betrachten und aus dem Heere auszustoßen.

Ad 3. Der Besiegte kann im Tempelhof spielen wie auch in der Judengasse, jedoch muss er dann Steuer bezahlen. – Vom Klickerspiel 10 Klicker per Woche. – Vom Nüssespiel 2 Nüsse pro Tag. – Vom Knöpfespiel: 2 Stahlknöpfe

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pro Tag, oder 4 Beinknöpfe pro Woche, oder aber 8 Perlmutterknöpfe per Monat. Für jedes andere Spiel hat der Besiegte eine Schreibfeder oder einen kleinen Bleistift, Löschpapier, Schulheft oder dgl. abzutragen. Am Samstag fallen alle diese Steuern weg und dieser Tag wird auch nicht als Zahltag eingerechnet.

Ad 4. Die Demobilisierung besteht darin, daß die Gewehre, Bajonette u. dgl. vernichtet werden müssen, die Kanonen unbrauchbar gemacht. All dies hat auf der großen Stadtwiese zusammengetragen

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zu werden und dem Frieden vorauszugehen.

Ad 5. In der westlich liegenden Straße der Kaserne hat der Besiegte vollkommene Bewegungsfreiheit. – Sollte er jedoch nach der östlich liegenden Straße kommen um sich zu verproviantieren, so hat er die Hälfte vom Proviant abzuliefern. Der Proviant besteht aus Kommißbrot und Zwetschken [sic]. – Außerhalb des stricten Begriffes „Proviant“ steht der Zwieback, von welchem nur ein Dritteil abzugeben ist. – Die Zwetschken dürfen nur in halbreifem Zustande

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gestohlen, d. h. als herrenloser Besitz gepflückt werden.

Ad 6. Zwangsweise Aushebung ist nicht gestattet. Es steht jedem frei die Armeen zu wählen, auch wenn er sich auf dem Territorium des eigentlichen berechtigten Herrn befindet. – Soldaten von unseren Gebieten können frei zur anderen Armee übertreten und umgekehrt, ohne daß das als Desertation betrachtet wird. –

Ad 7. In allen Fragen, seien es rein politische oder handelspolitische

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bez. welcher Natur immer die Fragen seien, hat der Besiegte, wenn es sich um Angelegenheiten auf der Halbsinsel „Volksschule“ handelt, den Sieger davon zu verständigen und darf auch ohne Zustimmung des Siegers daselbst nichts einführen, noch Reformen durchführen vielmehr Privilegien erteilen. – Des Besiegten Handel auf der Halbsinsel ist beschränkt; – Für Schacher ist Zoll zu entrichten. – Die Höhe desselben bestimmt die Finanzkommission.

Ad 8. Die Finanzkommission wird bestimmen ob die Kriegsentschädigung

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aus Knöpfen, Klickern, Messern, Nüssen oder anderem eventuell auch aus der Abgabe der täglichen – bis zur gewissen Zeit – Vormittagsjause zu bestehen hat.

Ad 9. Bei Wiederholung der Feindseligten [sic] sind die vorherigen Punkte für den Fall daß der Besiegte nochmals besiegt wird, nichtig. –

Ad 10. Die Unterzeichnung ist perfekt, da mit dem Versehen des Aktenstückes mit den Unterschriften, gleichzeitig auch das Siegel, bestehend aus einem Krempittefingerabdruck, auf das Schriftstück

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gesetzt wird. – Den Krempittefingerabdruck hat der Sieger zu tun. Die Krempitte muß der Feind resp. der Besiegte zur Verfügung stellen.


7.VIII. 13.

Die vorgelegten Friedensbedingungen wurden mit großen Augen angeschaut, zumal die Forderungen übertrieben waren. – Meine Wenigkeit, als Vorsitzender der Friedenskonferenz fügte jedoch bald hinzu, daß das nicht unser letztes Wort sein und daß nach dem Prinzip „do ut des“ im Interesse des dauernden Friedens der Sieger bereit sei, den Besiegten insoferne entgegenkommen, daß

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die abzuliefernden Zollgebühren eingeschränkt werden können, falls der Besiegte loyal in seinen Gegenforderungen sein werde. – Waren wir doch nicht so sehr große Geschäftshäuser mit fixen Preisen! Auf diese Erklärung meinerseits, erklärte der Bevollmächtigte der anderen Partei beiläufig so: „Im Interesse des dauernden Friedens nicht nur in unserem Lager, sondern auch im Lager der übrigen Mächte, welche eine beachtenswerte Stellung im Konzerte der Mächte inne haben, ferner im Interesse der sozialen, politischen

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und wirtschaftlichen Entwicklung, sowohl des Siegers, als auch des Besiegten, ferner auch im Interesse des künftigen guten Einvernehmens mit dem heldenmütigen Sieger, glaube ich nicht unloyal zu sein, wenn ich die uns vorgelegten, allzusehr übertriebenen Friedensbedingungen zurückweise, d. h. nicht annehmen kann. – Revidierend einige Punkte gemeinsam mit Sr. Exzellenz, dem Vorsitzenden, wäre die Gefahr eines zweiten unnützen Waffenganges, sowohl für uns als auch für Euch, einigermaßen zu beseitigen.“ Daher appelliere ich an

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die Großmütigkeit und an den, uns gleichen Wunsch, dem Blutvergießen ein Ende zu machen, des Gegners mit der Bemerkung und dem höfl. Ersuchen uns nicht zu zwingen en bloc die vorgelegten Friedensbedingungen anzunehmen, durch was wir gänzlich den Zugang zum Meere d. h. zur Judengasse – abgesperrt bekämen. – Erlauben daher E. Exzellenz damit rascher ein Einvernehmen erzielt werden könne, die bereits schriftlich zusammengefaßten Gegenforderungen vorzulegen in der Hoffnung, daß mit ev. bloß kleinen Änderungen selbe gebilligt werden.“ –

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Hier die Gegenforderungen:

1. Sollte der Konflikt nicht endgültig unter den kriegführenden Parteien selbst friedlich beigelegt werden, so wird um die Intervention der dazu geeignetsten und durch ihre Parteilosigkeit bekannten Großmacht, „Königreich Lehrer“ angesucht werden; dem Schiedsspruche dieser Großmacht haben sich beide Parteien endgültig und bedingungslos zu unterwerfen.

2. Sollte das „Königreich Lehrer“ die Arbitrage nicht annehmen, so wird darum bei den kräftigsten, gefürchtetsten und geachtetsten Kaiserreichen, namentlich „Kaiserreich Eltern“ einige kommen, welche auf Grund

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18. August 1913

Lange hab‘ ich wohl gesät
Vollendet Werk doch wer versteht!

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