3. Buch
3. Buch

GARBEN

PROSA u. POESIE

VON

RADALA

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Poklon Grete Šilinger [Geschenk von Greta Schillinger]]

1981

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Savez Jevrejskih Opština Jugoslavije

Beograd - Inv. Broj. 4978

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28.VIII.13

internationalen Völkerrechtes verpflichtet sind diese anzunehmen. –

3. Das Territorium: Tempelhof bildet gemeinschaftliches Eigentum der kriegführenden Parteien zumal selber als heiliger Ort betrachtet im Notfalle auch besser dadurch geschützt werden kann. – Was die Judengasse betrifft, haben wir gar keinen Einwand zu machen. –

4. Demobilisierung am Tage des Beginnes meritorischer Friedensverhandlungen.

5. Die minder wichtige Hälfte der östlich liegenden Kasernengasse, d.h. jener Seite, wo die Militär-

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Schneider und Schuster sind nehmen wir für uns in Anspruch.

6. Die Rekrutenaushebung hat erst zu Beginn des nächsten Schuljahres zu erfolgen.

7. Von einer Priorität auf der Halbinsel „Volksschule” kann überhaupt keine Rede sein.

8. Die zuammenzutretende Finanzkomission muß die gleiche Anzahl Delegierter auch unserseits enthalten.

9. Vertragsbruch ist casus belli.

10. Inkrafttretung des Vertrages am Tage seiner Unterzeichnung

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Kommentar!

Ad 1. Wissend von welcher Gefahr die Intervention des „Königreiches Lehrer“,welches sich bisher durch seine Neutralität, besser gesagt unbewegte Passivität ausgezeichnet, nicht nur für uns sondern auch für den Sieger wäre, welcher durch diese Intervention mit einem Male zum Besiegten werden könnte, glauben wir, daß der großmütige und erhabene Sieger schon im Interesse seiner Siegesfrüchte der Intervention dadurch vorbeugen wird, daß er

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durch Annahme unserer Forderungen, – respektive und milder auszudrücken – Vorschläge – die Intervention als unnutz hinstellen wird.

Ad 2. Stützend uns auf die im Ad 1 des Kommentares ausgedrückten Bestimmungen, glauben wir, daß zur entgültigen Schlichtung der Zwistigkeiten nicht das internationale Völkerrecht zur Geltung wird kommen müssen, denn dadurch erginge es uns wie auch dem Sieger wohl am schlimmsten, zumal die „Kaiserreiche Eltern“ als internationale Schiedsrichter,

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größtenteils nach der Hausordnung Punkt 1; welcher über das „spanisches Rohr-System“ spricht und durch das „Pracken-Patent“ noch mehr zu [sic] Geltung kommt, handeln. –

Ad 3. Nachdem der Tempelhof, wie der Name schon besagt ein heiliger Ort ist, so haben wir als zur mosaischen Konfession sich Bekennende das selbe Recht auf diesem Orte zu wandeln wie der Sieger selbst. – Umso mehr sind wir dazu berechtigt, da der Sieger erst, (wegen unregelmäßigen

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Tempelgehens bestraft wurde. – Abstrahierend jedoch all das, glauben wir nicht Unrecht zu handeln, wenn wir bloß im Interesse des Schutzes dieses heiligen Ortes, dem oft seitens unserer christlichen Kollegen eine Invasion droht, wünschen, daß auch uns das Recht erteilt würde, ohne jede Steuer den Tempelhof zu benutzen um stets, wenn Gefahr droht, mit euch Schulter an Schulter den Feind hinauszutreiben. Für den Aufenthalt in der Judengasse

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hingegen sind wir bereit Steuer zu bezahlen, welche aber bloß aus Schreibfedern, Bleistiften, Schulheften und überhaupt bloß aus Schulrequisiten im strengsten, d.h. in engstem [sic] Sinne des Wortes zu bestehen hat. Schulrequisiten im weitesten Sinne wie z.B: Kli[c]ker, Nüsse, Knöpfe, Čigra, Praika, Fischangeln u. a. sind ausgeschlossen.

Ad 4. Nachdem im 20. Jahrhundert von einem dauernden Frieden keine Rede sein kann, da wir doch in einem an Überrüstung gleichendem

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Jahrhundert leben und noch gar keine Anzeichen dafürsprechen, daß der Kommandoruf der blaublütigen Greisin – „Waffen nieder“ gehört sein will werden. So glauben wir sogar gut zu tun sämtliche Kriegsutensilien intact zu lassen. - Vielmehr wäre richtig, daß ein Jeder sofort an die Reparatur der unbrauchbar gemachten Geschütze und Gewehre schreite. - Wir haben sogar die Absicht, gewitzigt durch die Erfahrung die wir im letzten

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Kriege gemacht haben, unsere Gewehre künftighin auch von der Firma „Hartholz“ zu beziehen.

Ad 5. Infolge Anspruchnahme der minder wichtigen Seite der Kaserngasse [sic], wo die Schuster und Schneider des Militärs hausen, verlieren wir nicht nur den so heißgeliebten, einzigdarstehenden Zwetschgenbaum, sondern auch so ziemlich von den täglichen Labungen des Kommissbrotes und Zwiebacks, nachdem

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die Militärschuster und Schneider nichts gerne hergeben, ganz natürlich, bloß darum nicht, weil sie schwer von der Arbeit weggehen. Nachdem man aber dennoch sie lange anbettelt und mit ihnen zum Schluße noch unhöflich wird, weil sie nichts hergeben so bekommt man einen kalten Wasserguß gewöhnlich von oben. – Welche Folgen das zu Hause anlangend nach sich zieht, weiß der Sieger

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wohl auch aus eigener Erfahrung. Daher glauben wir wieder richtig zu handeln, wenn wir nur von den Zwetschgen, die uns der großmütige Sieger zugänglich macht, einen Teil abzuliefern geneigt sind. – Nicht aber die Hälfte sondern ein Drittel.

Ad 6. Betreff Aushebung der Rekruten glauben wir, daß diese erst in einem Jahre erfolgen soll. Zu diesem Zwecke soll eine Militärkommission genau festsetzen welchem Staate der Dienstpflichtige

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angehört. Den Dienstpflichtigen steht es nicht frei seine Dienstzeit in welchem Staate immer abzuleisten.

Ad 7. Nachdem der Sieger trotz seines Siegens noch immer nicht so stark ist gegenüber den kleinen Staaten auf der Halbinsel „Volkschule“ alle zusammen genommen, so glauben wir gerecht zu handeln, wenn wir die Priorität schriftlich nicht anerkennen. Im Zusammenhang mit dieser Nichtanerkennung, entfällt auch jede Einschränkung

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des Handels und die Entrichtung der Zölle.

Ad 8. Die Finanzkommission besteht aus 10 Mitgliedern, die zur Hälfte auch aus unserer Mitte entspringen. Das Präsidium wird ausgelost. Der Präsident hat auch nur eine Stimme! Nachdem unter solchen Umständen sehr schwer zu einem Resultate zu kommen ist und unsere Finanzen ohnehin nicht geregelt werden können, so

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glauben wir, daß die Finanzkommission überhaupt nicht zusammentreten soll.

Ad 9. Bei Wiederholung der Feindseligkeiten mögen die Friedensbedingungen nur dann aufrecht bleiben, falls wir wieder als Besiegte hervorgehen sollten.

Ad 10. Die Perfektivität des Vertrages wird dadurch gekennzeichnet, daß die beiden Heerführer zu gleicher Zeit an einer Krempitte zu essen beginnen, welche nun also

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wir zur Verfügung stellen werden. – Nachher muß mit unabgewischten Munde der Mundabdruck auf das Schriftstück gesetzt werden, worauf 101 Kanonenschüsse, d. h. Zündhölzchen zum Krachen gebracht werden müssen.


11.IX.13

Die Gegenvorschläge waren nun also gemacht und es hing allein von uns ab selbe anzunehmen oder nicht. – Nachdem der Besiegte in seinen Forderungen schon einen

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für uns nicht sehr angenehmen Ton anschlug, der nicht den Besiegten verriet und sich sozusagen als Sieger in seiner Tonart jenem [???]beschwören wollte, waren schon in Klarem mit uns, dass wir die Gegenvorschläge nicht annehmen werden. Jetzt hieß es eigentlich in nicht diplomatischer Ferne den Besiegten von der Nichtannahme der Gegenvorschläge zu verständigen um auf die daraus folgenden Konsequenzen aufmerksam zu machen. – Wir hätten zwar von dem Besiegten neue Vorschläge verlangen können. Auf das konnten wir jedoch schon aus dem Grunde

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nicht eingehen, da durch Verschleppung der Verhandlungen der Besiegte Zeit gewinnen könnte um sich vorzubereiten für neue Angriffe. – Daher hieß es vorsichtig sein und kurz und bündig dem Besiegten die Nichtannahme der Gegenvorschläge zu erklären um ihn gleichzeitig aufzufordern sich vollkommen den von uns aufgestellten Friedensbedingungen zu unterwerfen um jedes weitere unnütze Blutvergießen zu verhindern und der Kulturwelt zu beweisen, daß wir im Stande sind

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unsere Angelegenheiten und Zwistigkeiten allein zu ordnen und zu schlichten. – Es war aber dieses hartnäckige Verharren bei den von uns grundlos aufgestellten Friedensbedingungen fatal für uns und mit einem Schlage begann der Glanz unseres Siegessternes zu matten. Trotz Punkt 1. der Friedensbedingungen wonach das „Königreich Lehrer“ von dem Konflikte nicht in Kenntnis gesetzt durfte werden für welche Tat der Handelnde mit den schwersten Strafen heimgesucht wäre, d. h. als Vaterlandsverräter

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erklärt und als solcher über die Grenze hinaus geschoben, welche den Tempelhof und die Judengasse bildete, fand sich dennoch einer aus dem Lager der Besiegten, der die ganze Sache dem „Königreich Lehrer“ vortrug und es der Schmach vorbeugte, d. h. von den Siegern in solcher Art und Weise wie aus den Friedensbedingungen ersichtlich, gedemütigt zu werden. – Wir wurden alle vor das hohe Tribunal vorgeladen. – Das „Königreich Lehrer“ in welchem der Herr Lehrer sämtliche Funktionen innehat, die in einem modern Staate nicht zu vermissen sind, war so genau

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von dem ganzen Sachverhalt informierte, dass es keine Zweifel mehr gab, dass nicht einer der Krieger alles an die Trommel hing. Sieger und Besiegte glichen jetzt Kriegsgefangenen, welche vor dem hohen Tribunal stehen auf das weitere Schicksal harren. – Besonders niedergeschlagen war der Sieger; ja sie lassen die Köpfe hangen, denn hier war ja alles: das Heer und der Kaiser gefangen. Nachdem der Herr Lehrer die ganze Sache uns mit einer großen Strafpredigt vorgehalten, in welcher er bewies, dass er haarklein alles weiß, blieb nichts anderes übrig, als auf die Frage des Herrn Lehrers

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ob alles so wahr sei, die Wahrheit dessen zu anerkennen. Ein Leugnen gebührte sich ja unser nicht, und wäre auch ein solches unnutz gewesen, da das ganze Heer des Besiegten Zeugenschaft gegen uns hätte abgegeben. – Mit haßerfülltem Blicke schauten wir die Besiegten an, als wollten wir sie an den Punkt 1 der Friedensbedingungen ermahnen. – Das half aber alles nicht, denn unser Schicksal lag jetzt in den Händen des Herrn Lehrers, als Staatssekretär des „Königreiches Lehrer“, der unbeachtet des Punkt 1. gegen

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uns vorzugehen hatte um uns zu versöhnen, wenn nicht eine Strafexpedition zu entsenden. – Da die ganze Schuld auf uns gewälzt wurde und wir allein für diesen Bruderkrieg verantwortlich gemacht wurden, sah sich der Staatssekretär vermöge seiner ausgedehnten weitgehendesten Vollmacht, als Vollstrecker des Wollens der übrigen solidarisch erklärten Großmächte, namentlich der „Kaiserreiche Eltern“, – veranlasst, uns allein für diesen Bruderkrieg büßen zu lassen. – Wir

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streubten uns dagegen, da wir ja doch von ihm herausgefordert wurden – es nutzte aber all das nichts. Wir wurden also allein bestraft, d. h. über unser Hab und Gut wurde die Sperre verhängt – oder mit anderen Worten, die der Orginalität nicht entbehren: „Ihr drei – Pollak, Garay und Leon bleibt heute über Mittag unter Schloss und Riegel.“ Wir guckten uns groß an, schauten auch den Lehrer an und wollten ihm eine versöhnliche Haltung hervorlocken – doch vergebens. „Über Mittag“ war „über

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Mittag“ und auf unseren Lippen hang es auch “über Mittag“ und in unserem Magen war sofort der Wiederhall „über Mittag“. Obendrein dann wohl die Angst vor den Prügeln die uns des „über Mittag“ wegen zu Hause erwarteten und dann noch mit dem leeren Magen diese zu erhalten. – Wir fügten uns – ließen bald nichts mehr von diesem uns zugestoßenen Unglücke mehr merken und trösteten uns noch nur damit, dass der Herr Lehrer, wenn die Stunde anrückt, sich erbarmen werde und uns heimschicken werde. – Gestärkt

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durch diese Hoffnung waren unsere Mienen gleich freundlicher und was die Hauptsache war wir verhielten uns den Besiegten gegenüber doch noch immer als Sieger und schauten sie von oben herab. Die zwei oder drei Stunden die wir noch in der Schule zu sitzen hatten waren uns eine Ewigkeit – lag doch in der letzten Stunde unser ganzes Schicksal d.h. das „über Mittag“ oder „bis Mittag“ und Fortsetzung „Nachmittags“ das erstere wäre uns wohl vieles lieber gewesen, denn da hätte man zu Hause nichts

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von all dem erfahren. Es kam um die erste Stunde. Nach altem Brauch mussten wir, da alle gingen sitzenbleiben um vor allen zu dokumentieren, dass wir zu Sorte „über Mittag“ gehören. Das letzte Fünkchen der Hoffnung erlosch – wir blieben „über Mittag“ aber wirklich „über Mittag“ denn was sonst nie geschah aber was wir ahnten, wir kamen faktisch hinter Schloss und Riegel. – Das schlimmste dabei war, dass wir nicht wussten wie lange das „über Mittag“ zu währen hatte. Da tauchten verschiedene Gedanken auf. Wir

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waren in Angst, dass die Eltern über unser Ausbleiben, resp. Fernbleiben in Sorgen sein werden. Wäre das „über Mittag“ bei uns oft vorgekommen, so hätte man zu Hause schon ahnen können, was vorgefallen sei – wir waren ja aber Engel – ganz natürlich freche die zur letzten Strafinstanz angelangt sind. Knieten wir im Winkerl oder verbrachten wir Stunden am Geisterboden blieb das doch zunächst den Eltern unbekannt. Aber jetzt „über Mittag“, ja „über Mittag“ und der Magen sang stets das [sic] Refrain „über Mittag“. – Es

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war aber nichts an der Sache mehr zu ändern. – Der Herr Lehrer saß beim Mittag und die anderen Schulgenossen und wir saßen „über Mittag“. Wir fanden uns doch endlich drein. Nun hieß es wie die Zeit über Mittag verbringen. Da fiel meinem sonst sehr einfältigen Kollegen Garay ein „Schule zu spielen“. Es war rasch akzeptiert. Er, Garay war der Lehrer und wir die Schüler. Das spanische Rohr, das sonst hinter dem Kasten stand auf dass es der Herr Lehrer es rasch bei der Hand hat, nahm Garay her und fest auf dem Tisch klopfend gab

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er das Zeichen, daß der Unterricht beginne. Ich muß gestehen, daß wir ruhiger bei diesem ad hoc per akklamationem gewählten Herrn Lehrer waren, als beim wirklichen und daß unsere Augen und Ohren mehr an seinem Munde als an dem des wirklichen Lehrers hingen. – Ja, sein Vortrag war doch vieles interessanter. – Er sprach von den Ausreden, die wir zu Hause gebrauchen werden um uns wenn möglich rein zu waschen. Ferner von den Möglichkeiten des Durchgehens. – Das Letztere gefiel uns, nein unseren

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Magen fast besser als das Erstere. Das Erstere hingegen gefiel unserer Haut wieder besser als das Letztere. Beides gehörte ja aber zu unserem Körper; sowohl Haut als auch Magen; somit hieß es für beider Rechnung tragen. Es war vielleicht erst eine halbe Stunde nach Schluß des Schulunterrichtes. Somit war die Frage des Durchgehens nicht nur aktuell sondern akut geworden. Konnte man sich doch auf der Straße eine halbe Stunde verschenkt haben. Durchgehen war also das Sein

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oder nicht Sein. – Die Lebensinteressen forderten einen Ausweg. Es war uns doch der Zugang zum Meere – für uns das Mittagessen – abgesperrt. Somit mussten wir einen Ausweg finden um dem Staate – als solchen betrachteten wir uns ja noch immer – die Lebensinteressen zu sichern um so die Bevölkerung vor Hungersnot zu bewahren. Wir suchten nicht lange, denn wir hatten 4 Auswege; es handelte sich nur welches der günstigere wäre. – Nach kurzer Beratung wählten

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wir das Fenster welches am weitesten vom Haustor entfernt ist – wodurch die Möglichkeit vorhanden, daß wir durch diesen Ausgang so ziemlich ungestört den Abzug antreten können. – Rasch war das Fenster offen und wir sprangen auch einzeln hinaus, nachdem wir vorher die Bücher in unseren Kleidern versteckt hatten und schlossen wieder das Haustor. „Aufwiedersehen in einigen Minuten“ riefen wir uns zu und sprangen nach Hause. – Zu Hause angelangt wurden wir gar nicht befragt

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über die Ursache unseres Fernbleibens, da eine solche Verspätung nicht selten gewesen. Hatten wir ja doch verschiedene Spiele, welche auf dem Wege dem Hause zu nach der Schule gespielt wurden und so den Heimgang hübscher zu gestalten. Nachdem ich rasch Nahrung zu mir gekommen, packte ich mich sofort zusammen und lief zurück in die Schule – aber schon Nach-Mittag. Wie zusammengesprochen fanden wir uns zu gleicher Zeit da selbst ein. Fast alle hatten wir von den Eindrücken die wir zu Hause bekamen gleich lautend zu erklären, daß

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unsere Väter und Mütter uns nachsagten: „Wie verspielt der Bub ist, nicht mal Zeit nimmt er sich gehörig zu essen“. – Ach, wenn Vater und Mutter gewußt hatten, was sie nicht wußten! Wie lebhaft bedauerte ich den Abschied von unserer Lieblingsspeise - es gab nämlich Mehlspeise - und zum Unglücke alle hatten wir an diesem Tage Mehlspeise. Garay war aber so klug und nahm eine recht tüchtige Portion mit über die wir wie Löwen herfielen. All diese Erklärungen und Erläuterungen der Nebenumstände gaben wir noch im

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Schulhofe debattierend ab, da uns noch nicht die Luft genug rein war um in die Schule zurück zu kehren. – Es gingen doch sehr viele Leute vorüber gerade um diese Stunde. – Wären wir dann hineingesprungen, hätten wir uns doch der Gefahr ausgesetzt, daß einer das dem Herrn Lehrer meldet in der Meinung, daß wir die Schule zu plündern beabsichtigen. Die Luft ward aber doch endlich rein geworden. Ich als [???] hob beide hinauf um mich dann allein vermöge meiner erprobten Muskeln hinauf zu schwingen. Beide waren schon im

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Schulzimmer – nur ich zappelte noch draußen. Da kam der Herr Lehrer angerückt. – Ein Schrei: „Der Herr Lehrer“ und schon hatten sie mich bei den Händen und ich war auch schon im Zimmer. Der Herr Lehrer öffnete das Schulzimmer und trat herein. – Er schaute uns an um endlich nach kurzer Pause: „Wann seid ihr Schurken nach Hause gegangen?“ „Bittschen Herr Lehrer wir waren nicht zu Hause“ klang es in einer Stimme. „Ich habe euch aber draußen gesehen, d. h. dich Pollack und da waren ja alle sicher draußen

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d.h. zu Hause und seid dann wieder hergekommen“. – „Bittschen Herr Lehrer wir waren nicht zu Hause“ klang es wieder aber in gedämpftem Unisono. – „Also wo denn waret ihr dann“? „Der Pollack bittschen Herr Lehrer war nur draußen weil ihm das spanische Rohr mit welchem er uns auf der Landkarte einige Städte welche wir zur Aufgabe haben, zeigte, hinausfiel und da sprang er hinaus um es zu holen.“ – „Ist dem so“? „Ja bittschen Herr Lehrer.“ „Also ihr wart noch nicht zu Hause.“ ,,Nein.” „Also packt euch

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dann Schurken zusammen, nehmet eure Bücher und geht.” – Wir rafften uns auf um zu gehen – da bemerkte der Herr Lehrer, daß wir keine Bücher haben. – „Ja, wo sind denn eure Bücher?” – „Bittschen, wir haben sie nach Hause geschickt und haben uns nur das Gebetbuch behalten. – Jeder zeigte ein Gebetbuch. Ein solches war ja stehts unter der Bank – da der Morgengottesdienst damals in der Schule abgehalten wurde und die Realschüler ihre Gebetbücher stets

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dort ließen. – „Das ist aber wirklich sehr schön von euch, daß ihr Hebräisch auch gelesen habt.” – „Geht jetzt und morgen werde ich mir die andere Herrschaften ausborgen und da behalten, denn jetzt sehe ich, da ihr so schön die Zeit im Arrest ausgenutzt habt, daß ihr doch nicht so schlecht seid und an allem Schuld.” – „Kissdiehand“ und wir liefen schon hinaus freuend uns daß alles so wohlgelungen und jauchzend und triumphierend,

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daß morgen die Herren Frohlocker an die Reihe kommen. So seht ihr nun also wieviel Unheil der Krieg der zwischen den Buren und Engländern wütete, angestiftet.

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18.IX.13

Allerlei kleinere Geschichten!
1.

Ich bin im Hause des größten und angesehensten Semliner Faßbindermeisters, in der Gasse des Mata Ivić Nummer 6 groß gewachsen. Da kann es wohl keinen Wunder nehmen, wenn ich sage, daß ich in meiner frühesten Jugend schon eine besondere Vorliebe für die Faßbinderei an den Tag legte. -
Ehe noch der Morgen heranbrach, standen schon die Burschen mit ihren Setzhammern um die Fässer herum und mit einem anderen Hammer darauf

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schlagend, entlockten sie dem hohlen Fasse für mich so recht liebliche Melodien, die durch den Morgenanbruch das Gezwitscher der Vögel übertönten und mit kleinen Pausen bloß den ganzen Tag fast anhielten. -
Da gab es oft 30-40 Burschen bei der Arbeit; besonders in der Zwetschkenzeit (sic), in der Glanzsaison der Faßbinderei ging es lustig zu.
Ein jedes Faß gab einen anderen Ton und darauf schien mir das zusammengenommen als ein harmonisches Ganzes. - Überhaupt an allem und in allem der Faß-

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binderei fand ich ein (sic) Gefallen und dieses stieg umso mehr, da ich bei den Gehilfen die festen, starken Muskeln sah, - doch damals mein einziger Traum - die sie sich nur infolge der Arbeit an der Faßbinderei erworben haben. Da war sofort der ganz begreifliche Entschluß gefasst Faßbinder zu werden.
Es fraß aber dennoch in meinem Inneren: Zuerst die Schulen fertig machen. - Also ein gelehrter, intelligenter Faßbinder! Wie schön mag ich mir damals das ausgemalt haben! Zeitig

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morgens mit 30-40 Burschen stehen und hämmern und dabei die frohen Arbeitslieder durch die Morgenstille ziehen zu lassen, wetteifernd mit den munteren Vögelchen und stets mit dem Hammer den Akkord gebend, den Körper durch Arbeit stählend und dabei dennoch das Bewußtsein nicht als bloßer Handwerker dazustehen, sondern als ein Arbeiter, der sich auch Wissen angeeignet und Schulen genossen! Solche und ähnliche Bilder tauchten wahrscheinlich im Gehirn auf. -

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Die Fähigkeiten und Geschicklichkeiten, die man zur Faßbinderei benötigt, hatte ich doch mir erworben, zumal ich meinen freien Stunden bei dieser Kunst verbrachte. - Ganz glückstrahlend muss mein Antlitz gewesen sein, da ich zum erstenmale schon in der Lage war, mit den Burschen um das Faß gehend, rechtzeitig zum Akkord den Hammer fallen lassen zu können; das ist wohl nicht einfach - denn man muß auf verschiedene Takte und Tonarten achten und jeder

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Bursche schmiedet sich die eigenen. – Ich kannte aber bald alle Variationen und so durfte ich um das Faß herum beim hämmern mitgehen und mithämmern, nicht wohl stets auf die Reife, sondern auch auf die eigenen Finger hämmernd. Ich steckte sie aber gleich in den Mund, den Fuß dabei vielleicht auf vor Schmerz hebend – aber die Schande ließ mich nicht weinen sondern trieb mich rasch zur Fortsetzung – Das Liebste bei der ganzen Faßbinderei war mir aber danach

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offen gestanden das schon fertige Faß oder besonders zur Zwetschkenzeit der schon fertige Bottich, die mir zu Schulzwecken verwendete. [sic] – Ich war aber auch berechtigt damit zu spielen, zumal ich doch auch meine Kräfte zu dessen Fertigstellung aufs intensivste einlegte. All diesen schönen Seiten der Faßbinderei, aber besonders die letztere, die Spiel-Seite, gefielen mir so, daß ich nicht allein Faßbinder werden wollte, sondern mich auch recht bald anschickte die

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Schulgenossen für dieses sehr schöne Handwerk zu gewinnen, indem ich versuchte ihnen all diese erwähnten Schönheiten beizubringen. Ich erließ einen förmlichen Aufruf an die Schulgenossen – besser gesagt Anruf – denn vor der Stunde stellte ich mich auf den in der Schule vorhandenen Tisch – oder auf die Bank, und sprach beiläufig laut so: Das schönste Handwerk ist heutzutage die Faßbinderei. Das sage nicht nur ich, sondern der größte Semliner Faßbinder bei dem ich wohne

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und seine 30 – 40 Gesellen sind derselben Ansicht. – Da bekommt man nicht nur starke Muskeln – sondern die Fässer sind besonders geeignet um „Verstecken“ – „lore“ und „žmure“ [zwei letztere sind auch dem „Verstecken“ ähnliche Spiele] zu spielen. – Da zündeten sich gleich alle Gesichter vor Freude an und man wußte nicht was mehr prickelte - die Muskeln oder die Spiele – Ich brauchte nicht mehr zu sprechen, denn alle schrieen schon,

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daß sie alle nach der Schule mit mir mitgehen werden. – So geschah es auch. – Einige gingen garnicht nach Hause um sich nach der Schule zu melden, sondern geradeaus von der Schule zu mir. – Ich stellte dem Faßbinder die neuen Arbeiter vor mit dem Bemerken, daß ich sie alle so begeistert habe für die Faßbinderei, daß sie auch dieses Handwerk lernen wollen. – Der Meister meinte, daß er nicht imstande sei so

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viele Lehrburschen zu halten, da es ihm an Werkzeug mangelt, sondern nur einige von denen mit mir da „arbeiten“ können. Während dem ich da im Namen einer künftigen Lehrburschen-Korporation mit dem Meister verhandelte, hörte ich plötzlich rufen: „Zeit“ – auf der anderen Seite wieder „lore“ „lore“ „lore“ – von dort wieder kam es [???] und schon sah ich die künftigen Lehrburschen die

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recht hohen Bottiche erklettern und hinein sich lassen. – Da ließ ich auch den Meister wohl rasch im Stich und war mir jetzt erst dessen bewußt, weshalb ich so dieses Handwerk, besser gesagt die fertigen Werke der Hände, liebe. Husch – und ich war auch schon in einem Bottich und begann „lore“ zu schreien. – Da erst erkannte ich welcher Segen auf diesen Bottichen ruht. – Ich konnte ruhig sitzen und „lore“ schreien und der Suchende

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konnte mich nicht so leicht finden, zumal er oft 50-60 Bottiche abzusuchen hatte. – War er mir sehr nahe sprang ich dann in einen andern Bottich und bei diesem Spiele war ja die Hauptsache auf den zu Suchenden die Hand zu legen und nicht bloß zu sehen. – So ging‘s lustig, hurtig und munter oft bis spät in den Abend hinein. Kamen die Genossen dann spät zu Hause an, hieß es stets: „Ich war beim Pollak, die Aufgabe machen.“ Sie hatten aber auch

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nicht gelogen – zumal sie mit mir stets folgende Aufgaben lösten: Hinaufklettern auf den Bottich, hineinspringen und hinunterlassen in den Bottich – den Bottich vermöge seines eigenen Gewichts in Bewegung setzen und sich so darin schaukeln und zugleich balancieren lernen u.s.w. u.s.w. – Diese und ähnliche Aufgaben half ich – als Eingeweihter und Geschulter – stets meine [sic] Schulgenossen lösen. – Hätte ich damals, da ich

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mit dem Meister so ernst als Vorsteher und Vertreter der künftigen Lehrburschen-Korporation verhandelte, nicht auf einmal „lore“, „Zeit“, „žmure“ und noch ähnliche Sachen gehört und erkannt daß doch da eigentlich für uns von damals der edelste und schönste Zweck der Faßbinderei liegt, wäre ich vielleicht noch zum Schluße zum Faßbindern herangereift. – O habt Dank all jene, die in der ersten Minute meiner Verhandlung mit dem Meister

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plötzlich „lore“, „žmure“ und „Zeit“ riefen und mich so lehrten, daß wirklich von dieser Seite die Faßbinderei genommen von größerem Nutzen für uns gewesen. Aber nicht nur für uns allein - d.h. für unsere Spielsucht, sondern auch für die Schneider, zumal die Bottiche oftmals an unsern Kleidern hangen geblieben, welche dann stets ein Stück von den Bottichen weggerissen haben. – Trotzdem war es aber dennoch schön und wir hatten unsere diesbezügliche

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Freude an der Faßbinderei, besonders da in der Zwetschgenzeit Bottiche zu machen waren.

O schöne, herrliche, goldene Zwetschgenzeit!

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25.IX.13

2.

In meiner frühesten Jugend schon wurden mir in meinem Elternhause eigene Apartements angewiesen, in denen ich fast als der ausschließliche Herr und Gebieter walten konnte und durfte. - Ihr denkt vielleicht an die luftigen, räumigen Kinderspielzimmer, in denen in einer Ecke etwa ein hölzernes Pferd zu finden ist, auf dem Fußboden unter anderem Schulzeug der Baukasten mit den herumgeworfenen Bausteinen, Bilderbücher mit ausgerissenen Bildern, Malbücher

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mit schauderhaften Malereien u. dgl. liegen; wo an den Türpfosten ein gar hübsch Turngerät angebracht ist und in einer anderen Ecke die so selten benutzten staubigen Eisenstäbe verrosten und die Kugel der Rechenmaschine fast gar keinen Fingerabdruck aufweisen oder aber die Stücke, die Bestandteile des allzuviel benutzten Gewehres oder des Säbels dunter und drüber liegen. So vielleicht stellt ihr euch meine Apartements vor. Doch nichts von all dem

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in meinen Apartements. Meine Apartments waren wohl räumig, ja fast riesenhaft könnte man sagen. Tag und Nacht drang die frische Luft in diese hinein – aber nicht meinetwegen, sondern der darin aufgespeicherten Früchte, des Getreides wegen – denn meine Apartements waren des Vaters Getreidemagazine. Hier konnte und durfte ich schalten und walten; und waren zufällig die Arbeiter beschäftigt mit der Verladung des Getreides, so

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blieben immerhin noch einige Magazine mir zur Verfügung stehend übrig, zumal die Arbeiter stets doch höchstens nur in 2 Magazinen resp. Apartements beschäftigt sein konnten. Diese Apartements wurden zu meinem Lieblingsaufenthalt während meiner freien Zeit, aber erst dann, da ich bei der Fassbinderei und der Schusterei Fiasko erlitten. Nach einigem Mißlingen bei der Faßbinderei habe ich mich der Schusterei zugewendet.

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Zum Vorbild wurde mir der meisterhafte, unermüdliche Schuster Wechtler – alias Rendel – der noch heute wie vor Jahren in der „12 Apostel Gasse“ bei seinem Leisten sitzt. – Da habe ich die ersten aber auch die besten Lehren der Fußbekleidungsarchitektur genossen. – Ich brachte es schon so weit, daß ich alte Schuhe sorgfältig zertrennen konnte und sogar auch faustgroße Flecke aufnageln konnte. – All das erlernte ich während meiner freien

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Schulzeit. – Mein Prinzip war nämlich ein „königliches“ – jeder Herrscher muss ein Handwerk beherrschen. – Das Handwerk beherrschte ich schon fast – aber die Prämisse oder besser gesagt die Schlußfolgerung: Herrscher fehlte mir. – Es waren nämlich gar keine – aber wirklich gar keine Aussichten, daß ich mal Herrscher werden sollte. – Deshalb warf ich die so liebgewonnene Schusterei über den Haufen. - So oft ich aber beim Schuster „Rendel“ vorrüberging mußte ich an die

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meinige einstige Schusterei, ja aber auch unwillkürlich an die Herrscherei denken. Die Herrscherei ward mir zum alltäglichen und allnächtlichen Traume. – Und während dann ich mich im Traume auf dem dreifüßigen, mit „Schusterpapp“ geklebten Stühlchen sitzen sah, einen alten, vielleicht fürstlichen Schuh sorgfältig zerlegend, den „Rendel“ Gott weiß wo gefunden und ihn als für noch verwendbar d.h. dessen Bestandteile, heimbrachte, oder meine fast

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aus puren „Flecken“ bestehenden Schuh mit noch einem „Fleck“ bereichernd – da sah ich mich zugleich auf dem künftigen Thron. – Ein Handwerk habe ich – die Fußbekleidungsarchitektur ward mir zu eigen, nun konnte ich ganz leicht zum Herrscher auserkoren werden. – Die nötigen Qualifikationen hatte ich also. – Ich hatte ja auch schon mein Reich u. z. meine Apartements – somit musste ich nur der Königswahl harren und obendrein, daß mich die Wahl

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betreffe. – Ich hatte also mein Reich in den Apartements gefunden – nur fehlte in diesem Reiche das Volk, das mich wählen könnte. – Nun musste ich trachten mein Reich anzusiedeln. Ansiedler konnten nur meine Schulgenossen werden, zumal ich bei ihnen sehr in Ehren stand und daher auch die Möglichkeit gegeben war, daß ich der kommende Mann mit dem ganz einfachen demokratischen Titel „Majestät“ sein werde. – Mein Reich war rasch

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bevölkert. Lauter kleine Leute – es glich dem Liliput Staate, - Den Grund bildeten die Magazine mit den Getreidevorräten verschiedenster Art – alles geeignet um sich festsetzen zu können - - - - denn das ceterum censeo dieser Bevölkerung um dauernd auf einem Platze zu bleiben war – das Spiel. Nachdem meine Apartements, die jetzt schon dem Staate sich nähern, für alle Spiele ausprobiert waren, stellte sich heraus, daß

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sie am geeignetsten für das Soldatenspiel wären; - ich wollte nämlich sagen; stellte sich heraus, daß nachdem die geographische Lage des Reiches geprüft worden und befunden, daß es infolge dieser Lage äußeren Angriffen ausgesetzt ist – daß zu seinem Schutze Militär aufgestellt muß werden und daß der Staatsbestand durch einen Herrscher nach außen geltend gemacht muss werden. – Herrscher! Ach, mein Traum! Also doch nicht umsonst bei Schuster „Rendel“ die freie Zeit zugebracht!

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Ich werde sicher zum Herrscher gewählt werden! Also doch auf den Thron! Diese und ähnliche Gedanken durften damals in meinem Gehirn sich gejagt haben.- Ich nahm die Sache sehr ernst auf – denn Herrscher sein ist keine Kleinigkeit. – Ich habe mich ganz passiv verhalten, die Wähler gar nicht beeinflusst oder nach heutigem System selbst Agitationsreden für sich selbst gehalten. – Nein, die Wahl mußte frei sein – es ist eine Königswahl. Und einstimmig wurde ich auch gewählt. – Sogar

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hätten diese mich nicht als Herrscher in meinem Reiche anerkannt, da hätte ich sie ganz einfach hinausgetrieben, und solange hätte ich hinausgetrieben, bis sich nicht die richtigen gefunden hätten, die mich als Herrscher anerkannt würden haben, d.h. mich zu solchem gewählt. Aber ich wurde doch gleich unter der allgemeinen Begeisterung der ganzen Bevölkerung zum König auf den Schultern gehoben, ausgerufen. Ja, sie konnten aber singen,

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Einen besseren brauchen wir nicht, denn ich war ein selenguter [sic] Monarch. Die Untertanen mußten durch meine Güte und das majestätische Entgegenkommen weit davon entfernt gewesen zu sein, die Hände mit meinem Blute zu beflecken. - Ich war nämlich so eine ganz einfache Majestät demokratischer Veranlagungen. – Kein Wunder – denn von der Schusterei zur Majestäterei !! Ich ward aber einmal der Monarch, als solcher wurde ich respektiert, und

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das Volk war mit mir vollkommen zufrieden.--- Nun hieß es zum Schutze des Staates und der Krone eine Wehrmacht ausbauen. – Diese war mehr zum Schutze der Krone – denn nur durch die Wehrmacht, die aus einer einzigen Truppengattung bestand mit dem Zwecke dem ernsten „Soldatenspiel“ zu dienen – wurde mir die Krone aufgesetzt. – Also vom Soldatenspiel war die Krone abhängig. – (Es dünkt mir, daß dem auch heute so im modernen Staatenleben ist.)

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Rasch werden Kasernen gebaut und für die Unterkunft der Soldaten gesorgt. – Getreidesäcke, die wohl genügend vorrätig waren, wurden auf dem Fußboden des größten Magazinraumes ausgebreitet – ein Sack zusammengerollt, der als Polster dienen möge und – die Kaserne war fertig. – Hartes Lager – also ganz vorschriftsmäßig. Aus den Holzabfällen der Faßbinderindustrie wurden Gewehre, Säbel und Bajonetts geschnitzt. – Um Raum zu mehr zu gewinnen, mußte

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die Getreidesorten stets aufschaufeln und mit Brettern verschallen. – Nachdem sehr viel Getreide sich aufhäufte oftmals, waren die Soldaten gezwungen zu übersiedeln, d. h. wie der Fachausdruck lautet, sie wurden dislogiert – aber stets in selbem Reiche d. h. vom Weizen-Magazin ins Hafer-Magazin – oder vom Gerste-Magazin auf den Kukuruz-Boden, wo zur Zeit nämlich mehr Raum vorhanden war. – Überall aber, wohin die Mannschaft kam,

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wurde mit militärischer Schnelligkeit die Kaserne eingerichtet. – Die Säcke wurden samt den Gewehren und Säbeln mitgeschleppt – und mehr hatte man ja nicht. Die Hauptsache war, dass sie wo immer sie gewesen, nichts anderes als stamme Militaristen waren, die für Kaiser-König und Reich das Blut hinzugeben zu jeder Zeit bereit waren. – Die Wehrpflicht war eine allgemeine, noch dazu eine solch allgemeine, dass jeder Untertan in diesem Staate diente und obendrein mit

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vollster Begeisterung. Das Dienen beim Militär war ihnen der eigentliche Zweck des Aufenthaltes in Staate. – Wie im Grossen Ganzen beim Militär, so bestand auch unsere wohlausgerichtete Mannschaft aus Gemeinen und Chargen. – Letztere waren aber auch wie stets beim Militär schon ist, die Ersteren. – Gemeine gab es in strengsten Sinne genommen sehr wenig, dafür gab es aber mehr der Chargen, welche doch die Gemeinen überflügelten. – Im Offizierchor gab

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es auch mehr der höher Chargierten, die sich von den Rangjüngeren auch dadurch schon unterschieden, dass an ihnen mehr des Gemeinen schon haftete. – Die Avancements gingen sehr rasch von sich. – Da war das Avancement nicht stricte an den Monat Mai oder November gebunden. – Das kam daher, weil oft gekriegt wurde und so in dem sehnlichsten Wunsche des Militärs Rechnung getragen wurde; ich meine hier nicht gerade

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das Kriegführen, ich denke vielmehr hier an die schlechten Avancements bei der Armee, welche das Militär für den Krieg – den Krieg um den Stern – begeistern. Wissend also das genau und kennend diesen Drang und Kampf der dem Sterne geweiht war, dadurch aber auch dem Wohle des Vaterlandes, habe ich sehr oft begeisterte Kriegsproklamationen ergehen lassen, um wenn schon nicht das Land zu erweitern, so aber doch den Chargenhorizont fürs Militär. Daher kam es, dass die

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Chargen die Gemeinen überflügelten. – Das war aber ein idealer Staat, denn da wurden fast 2/3 des Einkommens aus allen möglichen und unmöglichen Staatsquellen für die Heeresmacht verwendet – (heute machen es die modernen Staaten nach unserem einstigen diesbezüglichen Muster, nur mit dem Unterschiede, dass sie 5/3 des Einkommens zum Ausbau der Heeresmacht verwenden; die überzähligen 2/3 werden nämlich auf den Rücken der Bürger geschrieben und so recht

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pleonastisch: Staatsschuld genannt.) Während dem wir wenigstens 1/3 für kulturelle Zwecke im Staate selbst auch verwendet hatten, geht der heutige Staate aber noch weiter indem er den Nachkommen 2/3 an Kultur zurückläßt, d. h. Staatsschuldentestamente, welche 2/3 weniger enthalten an Wert, als der Erbe an Legaten bloß auszuzahlen hat – Das sind aber moderne Staaten und wir waren ein Staat nach längst

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veraltetem System. – In einer Hinsicht aber deckten wir uns ganz mit dem Militär von heute. – Nämlich die gleichen Auszeichnungen hatten wir fürs Militär, sowohl für die wenigen Gemeinen als auch für die den Gemeinen gegenüber höher stehenden, wie auch für das Offizierschor. – Für außergewöhnliche Dienstleistung gabs einfache Belobungen seitens der Offiziere, der Kommandierenden des obersten Kriegsherrn, der selbst sich von

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allem gerne überzeugen ließ. – Dann gab es schriftliche Belobungen mit eventueller Veröffentlichung in der „Militärischen Rundschau“ oder wie damals das Blatt hieß „Militärische Schultheke“. – Ferner Ordenverteilung, sowohl für Verdienste im Frieden als auch für jene im Kriege, ferner Tapferkeitsmedaillen; überhaupt von der kleinsten bis zur höchsten Auszeichnung ging es auch bei uns, d. h. vom „Wichtigmacher-

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Orden“ angefangen, welchen man an der Brust angeheftet trug, bis zum „Servietten- oder Hemdschützer-Orden“ welchen man um den Hals gebunden zu tragen hatte wie eine Glocke, als sichtliches Zeichen, dass dieser Ausgezeichnete stets allen anderen vorausgehen kann. – (Honorig seit _ _ _ _)
Diese Orden stammten größtenteils aus der Fabrik „Brüder & Co.“. Diese Fabrik befaßte sich nicht

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ausschließlich mit der Fabrikation von Orden. – Bloß an gewissen Tagen stellte sie Orden her. – Ehe aber diese Orden hergestellt werden können, müssen die Firmainhaber einen Tanz – Kotillon – genannt absolvieren. Dann erst können Orden hergestellt werden. Die ganze Prozedur hier zu schildern wäre vollkommen überflüssig, zumal doch Jedem fast diese bekannt sein mag. – Eines

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muss ich aber betonen, dass diese Orden sehr heikel waren, deshalb trug man sie nur bei besonderen Gelegenheiten – nämlich dann, wenn nicht ein Teilnehmer der Fa. „Bruder & Co“ zugegen war. – (Ihr, die ihr solche Orden getragen wisset wohl ganz gut was das heißt, wenn so ein Firmainhaber den Orden sah. – Vielleicht habt ihr es schon vergessen. – Ich flüstere es auch drum zu: Die Orden waren zum größten Teile von einem Firmainhaber gestohlen.) Gestohlen mussten

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sie werden, denn denkt euch wie fest diese Firma „Bruder & Co“ an diese Orden hielt. – Manche bloß gaben es leicht her, die, welche nicht darin einen Talisman erblickten. –
Die allerhöchste Auszeichnung sowohl für die Gemeinen und Höheren als die Gemeinen, war das „Wagenfahren“. Das muss ich näher erklären. Wenn nämlich das Getreide zur Verladung ins Schiff geführt wurde, da durfte einer mitfahren, hoch oben auf dem

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mit vollen Säcken beladenen Wagen sitzend. - Das war die allerhöchste Auszeichnung, welche noch dadurch gesteigert wurde, dass dem Kutscher der Auftrag erteilt wurde, den Ausgezeichneten kutschern zu lassen – Diese Auszeichnung entsprach dem „Maria Theresia – Orden.“ - So viel über die Auszeichnungen!
Was den gesellschaftlichen Verkehr in der Armee betrifft, war alles sehr ja sogar sehr, sehr

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nach Waffengattung gesellig. – Übrigens ist das ja heute auch noch so. –
Es war im großen Ganzen nichts anderes als eine ernstes, hingebungsvolles aufmunterndes Soldatenspiel, ein Spiel, welches in seiner Art den Menschen bis in sein Greisenalter fast noch gefangen hält. –

9. X. 10.
Radala

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9. X. 13.

3.

Als kleiner Junge war ich schon ein Tausendkünstler. - Ich verstand das Kliker- Nüsse- Knöpfe- Čigra- Klis- Langemeta- Schnitermeta- Reiftreiben- Praška- Rule- Popike- Cara daj vojnika- na zid- lopova i pandura- cariča- pisara- žmurke- di su oštre makaze-Spiel und noch viele andere Spiele, welche mir momentan nicht einfallen, auf die ich aber in meinen weiteren Ausführungen hier vielleicht draufkommen werde. Ferner war ich ein

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äußerst raffinierter Jäger, Fischer; Schlittschuhläufer, Schlittenfahrer, Scheibenschütze

10.X.13

und aber auch ein großer Liebhaber von Äpfeln. - Für die vorher erwähnten Jugend-Spiele war ich ein bedeutender Reklamemacher. Vielleicht sogar der bedeutendste in diesem Hause, zumal ich da auch, die nicht leicht nur einzuholenden amerikanischen Reklamemacher sogar überflügelte. Für jede Spielsaison war ich die lebendige Reklame. Ich war aber zugleich der Tonangebende in jeder

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Saison, ebenso wie für die Frauenmode noch immer die französische Metropole tonangebend ist. (Mir dünkts aber, dass dazu dennoch die Männer dieser nach strenger Mode sich kleidenden Damen, die tonangebendsten sind. – denn solange der Mann nicht den Ton der Münzen anschlägt giebt es auch keine Frauenmode.) Um nun zurückzukommen auf das, von was ich eigentlich spreche resp. schreiben will, muss bemerken, dass in dem Momente ich mit meinem Spiele einsetzte, gleich auch meine Schulgenossen

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auf dieses Spiel übergingen, denn das gehörte ja zum guten Ton, zumal ich diesbezüglich als Doyen der Spiele galt. – Ich habe die Spiele nicht erfunden. Das waren süß überlieferte, gerne akzeptierte Erbstücke auf die wir stolz waren. – Immerhin erinnere ich mich genau, dass ich selbst zwei Spiele verfasste, zu denen ich selbst den Text und die Musik geschrieben habe. – Diese zwei Spiele waren mehrere Saisonen hindurch auf dem Repertoire und noch heute – würde ich Anspruch erheben –

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müßte ich die Tantiemen dafür erhalten. – Sie sind wohl heute schon ein wenig – durch neu importierte Spiele – abgedroschen aber sie erfreuen sich dennoch des Bewusstseins einstiger Größe, ehemaligen Triumphes und Siegeszuges. – das war wohl keine „Lustige Witwe“ oder „Dollarprinzessin“; keine „Eva“ oder „Graf von Luxemburg.“ – das waren Spiele die sich von den operettenhaften lossagen und dem dramatischen der Oper sich nährten. – (Möglich gelingt oder gelang es den seeligen

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Verfassern sie noch näher der Oper zu bringen.) Der eine Schlager hieß „na zid“. – Der andere Reißer hieß „cara daj vojnika“. – Beim ersten bestand der ganze Text in dem Titel – denn stets wurden gesungen oder gerufen „na zid“. Da stellten sich gleich die Jungen knapp an der Wand an und das Spiel begann, indem einer aus gewisser Entfernung mit einem Ballen auf die Angestellten zielte. – Traf er mit diesem harten Ballen einen der

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Wand knapp stehenden, was stets höchst dramatisch im Spiele ausgearbeitet gewesen, so konnte er – steigernd das dramatische – weiter zielen. – Traf er nicht, da hielt das operettenhafte seinen Einzug, denn er mußte sich anstellen und derjenige, der nicht getroffen wurde, entwickelte nun das Spiel so weiter. Da gab es also einen steten Wechsel von dramatischen und operettenhaften Szenen. Zum großen Teil – waren wir doch gute Schützen – dominierte

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im Spiele die Oper. Der Text also sehr einfach – umso überwältigender aber die Musik, besonders da sie sich der Opernmusik näherte – und das tat sie oft. – Alles in allem also genommen, war das ein gewaltiger Schlager. – Nicht minderen Erfolg erzielte ich mit meinem Reißer „care, daj vojnika“¹. – Der Text war auch hier ganz einfach kurz – aber genug um im ganzen Spiele zur Geltung zu kommen. Da wurde stets nur

 

 

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¹ care, daj vojnika: serbisch für Zar, gib mir einen Soldaten.

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gesungen, „care, daj vojnika.“ – Gleich faßten sich die Jungen fest an den Händen und bildeten so eine Aufstellung im Freien – ähnlich einer Kette aus Menschenhänden. – Ihnen gegenüber eine zweite Kolonne, auch sich fest an den Händen haltend. An der Spitze einer jeden Kolonne stand der „car“. – Nachdem das alles geordnet war, d.h. um musikalisch zu sprechen – die Introduktion vollendet gewesen, begann das eigentliche

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Spiel, das sofort ins Dramatische überging. Der Stärkste aus einer, welchen immer Kolonne stürmte auf die andere Kolonne los und versuchte mit der Brust die Kette durchzubrechen. Gelang ihm das, da gestaltete sich das Spiel höchst dramatisch denn alle, die sich vom „caren“ losgerissen wußten mußten in die andere Kolonne als ehrliche Mitkämpfer eintreten. – Auch diese der Opernmusik sich nähernde Musik, die in solchen

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Momenten einsetze, die ist unbeschreiblich! Und dann erst diese Höchstdramatische Point wenn es dem Armstürmler gelang, die Kette knapp an den „car“-en durchzubrechen und so alle Streiter seinem caren heimbringen konnte! Und erst dieses Schwunghafte dramatische Fortissimo, da der car, zumal er ohne Streiter geblieben einige als Gnadengeschenk erhalten musste. Dieses weinende Moll das dann einsetzte. – Das ist aber wirklich

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unbeschreiblich. – Doch wenn der Anstürmler nicht die Kette durchgebrochen und zur Strafe, in der anderen Kolonne dann mitkämpfen mußte, da gab es wieder ein solches, übermütiges Operettenhaftes. – Die Hauptsache war aber das „Reißen“. Und ich kann freudig zurückblickend sagen, daß das auch ein gewaltiger „Reißer“ gewesen. – Beide Spiele leben fort und wenn schon nicht wie damals

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als solch „gewaltige Schlager“ und „Reißer“ so aber doch als „Schlager“ und als „Reißer“ und mir dünkts, daß sie noch lange, lange nicht zu Ehren des noch lebenden Verfassers auf dem Repertoire stehen werden. – Wie ich vorher erwähnte, war ich ein äußerst passionierter Jäger. – Ich jagte nämlich sehr gerne Fliegen, nämlich diese ganz gemeinen lästigen Hausfliegen und Regenwürmer. – Das tat ich aber auch nur Sonn- und Feiertags und zwar auch nur

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im Sommer. – Dieses Jagen hatte ebenso wie das Jagen auf Wild seinen bestimmten Zwecke gehabt. – Ich brauchte nämlich diese kleinen Raubtiere um noch größere Raubtiere einzufangen. Nämlich – wie bereits gesagt, ich war ein passionierter Fischer. Da ging ich oft mit meinem Bruder zeitlich in der Früh Fische fangen. – Wir fingen aber zumeist Frösche, alte Kleider, Fetzen u. dgl. auf – selten, ja sehr selten einen Fisch. Die Hauptsache dabei war aber doch

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daß wir fischen gewesen. Wie das wirkliche Fischervolk wanderten wir von einem Ort zum anderen und prüften die Wasser auf den Fischinhalt. Überall wohin wir kamen wähnten wir ein Gewimmel von Fischen – warfen aus – – – und zogen stets ´nen Frosch oder Lumpen hinaus. – Immerhin hatte das Schicksal mit uns aber doch zum Schluße Erbarmen gehabt und wir gingen nicht leer nach Hause – denn unterwegs fanden wir größtenteils

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einen Fischerjungen, der uns seine kleinen winzigen Fischerlchen für par Kreuzer hingab. – Diese Fische haben ganz natürlich für zu Hause wir gefangen – denn wie hätten wir anders können das so abgebrannte und abgehetzte Antlitz rechtfertigen und die Nervosität verständlich machen, die uns auf den Mienen lag und die die Anstrengung beim Fischfang uns verschaffte? Und heute besingt diesen Fischfang

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allso der Poet: „Ich weiß es noch, wie du nach Hause kamst: „Heut wird gefischt mein Jung! Mach dich zurecht! Im Tümpel sah ich einen großen Hecht.” – Ich stolperte wie in ein großes Glück. Noch seh´ ich´s heut, wie du den Hamen nahmst. – Ich trug den Kober – strahlend war mein Glück! Hin nach dem Tümpel! Über grüne Wiesen die mit dem Grün den blauen Himmel

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priesen wo Hahnenfuß mit den polierten Kronen die Sonne fing und abwarf wie aus Spiegeln. Ich flog vorauf, als ging es wie mit Flügeln und hatte Not, das Fischzeug zu verstauen. „Komm, Bruder, rasch!“ Er schwankte mit dem Hamen, bis wir zum Hecht an unsern Tümpel kamen. Und fischten los! – Nichts drin! – Vom andern Ende! – Die Stange faßt´ ich

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mit in meine Hände! – Auch wieder nichts! – Nun denn nochmals gezogen! Von Quer zu Quer, daß sich die Binsen bogen! Vom Kamgarn [sic] rieselten die großen Tropfen, kein großer Hecht hob stürmisch an zu klopfen. Ich bat und flehte einmal noch zu ziehen – und immer nichts, fast hätt ich aufgeschrien! Und wie wir zögernd dann nach Hause gegangen, da sagte er ernst mit

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hoffnungsarmem Munde,- die Stimme klingt ganz klar zu dieser Stunde. „Von nun an werden wir wohl Frösche fangen!“ Was das Schlittschuhlaufen und Schlittenfahren betrifft sei sofort bemerkt, daß ich keine direkte Schlittschuhe hatte, noch einen Schlitten, dem Pferde vorgespannt werden konnten. Meine Schlittschuhe, auf denen ich besonders sicher stand und mit denen ich auch Bogen laufen konnte, waren das Fabrikat

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des Schusters Rendel. Dieser sorgte stets für feste „Schlittschuhe”. Trotzdem brauchte in einer Schlittschuhsaison drei bis vier Paare Schlittschuhe. – Ich war am Eislaufplatz stets der erste – ich musste mir nämlich meine Eislaufbahn herrichten – glätten diese – denn diese Schlittschuhe, die ich hatte waren nicht besonders glatt, zumal sie sehr oft, ehe sie für unbrauchbar erklärt wurden, repariert wurden. – Auch wenn ich da ganz durchfroren heimkam da war ich ganz

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logisch dem gesunden Wintersport – dem Schlittschuhlaufen – huldigen. Mein alter guter Vater lächelte da stets und sagte: „Unser Sohn sorgt schon für Arbeit für Rendel.” –
Besser ging es mir allerdings mit dem Schlittenfahren. Den hängte ich ganz einfach auf einen Wagen oder Schlitten an und ließ mich mitziehen. Ich habe oft Peitschenhiebe bekommen von denen die kein Anhängsel duldeten, aber

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das Schlittenfahren war wohl diese wert. Und wenn es da an Anhängselmitnehmenden fehlte, da ließ man sich einfach vom Kalvarienberg auf dem kleinen Schlitten hinab. Heute glaube ich nennt das die zivilisiert-organisierte Sportwelt: rodeln und wir nannten das einfach „Schlittenfahren”. – Also schon damals waren wir unbewußt Mitglieder dieser zivilisierten organisierten halsbrecherischen Sportwelt. Also heute täte ich das, mußte

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ich nolens volens um nicht einen schlechten Eindruck auf die Sportwelt zu machen, sagen – ich „rodelte”. –
Ich sagte, daß ich auch ein passionierter Scheibenschütze gewesen. Da denkt man vielleicht an das militärische Scheiben-Schießen. Mein Scheiben-Schießen bestand in etwas ganz anderem. Da waren nämlich die Schleuderer mal wieder in ihrer Hochsaison. Ich und mein Bruder hatten uns gleich einen solchen hergestellt um sicher Scheiben aufs Korn zu nehmen.

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Als eine der interessantesten Scheiben schien uns das Kreuz der serbischen Kirche. Ich lief da rasch in den Stadtpark um frischen Proviant, der aus frisch aufgeworfenem Kies bestand - für unsere Schleuder zu holen, um so ausgerüstet, nachdem wir vorher den Schleuder auf seine Festigkeit geprüft haben, machten wir uns zur serbischen Kirche auf. Was da geschah, soll der Poet in Folgendem erzählen:

„Mach auf dich, Jung! Nimm deinen Schleuder mit! Zur serbischen

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Kirche führt uns heut der Schritt. Am Turme hoch, wo´s gülden Kreuz dort blinkt, für uns ´ne sichere Zielscheibe winkt. Mit Wonne nahm ich rasch den Schleuderer her und prüft das Holz, den Gummi band ich sehr. Des Stadtparks frisch herbeigeschafften Kies, fast jede meines Anzugs Tasche pries. Nun kampfbereit wir standen da zum Aufbruch auch die Stunde war schon nah. – Auch durch der breiten Straße bunt Gedränge, wie beide kamen in die Kirchenflur, die enge; – in einer Ecke sichren Schutz gefunden

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wir, vor jedem Ansturm wähnten wir uns sicher hier. – „Los“ nun hört ich rufen. Der Kies sprang auf, gen das Kirchenkreuz´ nahm es den Lauf. Wie pocht die Brust, wie lacht das Herz bereits, da ich zum erstenmal getroffen ´s Kreuz. Auf einmal doch der „Schuss“ verfehlt, sah sich im Fenster ausgewählt; im Nu schon war der Kirchendiener hier, vorher versperrt uns doch er jede Tür ... –


Was nun geschah, das könnt ihr euch doch

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denken. Enthüllungen darob ihr könnt uns schenken...
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Nach all dem Ganzen sie uns doch entließen – da sagte Bruder mir: „Da tüchtge Schützen wir, von nun, so gehen wir „Scheiben“ schießen”.

Ra.

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23.X.13

Nachtrag!

Infolge meines wohlgenährten Aussehens ernannte mich der Herr Lehrer zu seinem Majordomus. – Meine Pflichterfüllung als solche lag darin, daß ich alltäglich dem Herrn Lehrer die Zehner- und Viererjause und den schwarzen Kaffee in die Schule bringen musste. – Er – der Herr Lehrer hatte ein besonderes Vertrauen zu mir, mehr aber zu meiner Wohlgenährtheit vielleicht

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die ihm Bürge war, daß ich von der ihm bestimmten Ration nichts wegnaschen werde. – Ich brachte aber auch dem Herrn Lehrer die Jause in tadellosem Zustande. Nicht ein einziges Mal verriet diese ein Einmengen meiner zarten Fingerchen so wie auch der „Schwarze“ in der Schale keinen zweiten Rand aufweisen konnte. – Meine Wohlgenährtheit bürgte wirklich auch mir dafür, dass ich nicht in Verführung geraten werde zumal ich doch

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zu Hause alles in Hülle und Fülle hatte. – Der Winter aber führte mich in Versuchung ein. Der Herr Lehrer hatte nämlich in der auf dem Stocke des Tempels sich befindenden an den „Geisterboden“ grenzenden Kanzlei einige Meterzentner [50 kg] Äpfel aufbewahrt. In allerhöchstem Auftrage hatte ich nun von dort täglich zur Jausezeit einen Apfel zu bringen. Um diese einigen Meterzentner wegzuschaffen, hatte man also einige Monate

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gebraucht – da doch im Tage höchstens 3 Äpfel dieser Masse entnommen wurden. Manchmal war es nur wirklich – trotz meines Heldentums nicht einerlei in die Kanzlei hinaufzusteigen wo doch nebenan der „Geisterboden“ war. – Ich war wohl mit diesem sehr vertraut, aber immerhin war es doch für mich besonders in solchen wilden schneeigen Wintertagen ein „Geisterboden“! – Erwähnen wollte ich aber dennoch nichts – denn es handelte sich ja um das bereits detailliert geschilderte

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Renommee. – Und wie ich da oftmals die Kanzlei – nennen wir sie „Speisevorratskammer“ verließ und die Stiegen eiligst hinablief als verfolgen mich die dem „Geisterboden“ entsprungenen „Geister“ – wobei es mir mehr aber dennoch um den Apfel als um mich selbst gewesen, da hoffte ich indes für die ausgestandene Angst ein Stückchen vom Apfel zu bekommen – denn ich war doch fest überzeugt daß der Herr Lehrer mir die Angst vom Gesichtchen lesen müsste. – Ich wußte

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nämlich, daß ich zu Hause, wenn ich einmal erschrocken, rasch etwas zu essen oder zu trinken bekam und daß es wirklich geholfen. – Vom Herrn Lehrer so ein Stückchen vom Apfel zu bekommen, hätte mir wirklich auch wohlgetan. – Ich bekam aber nichts. Da hieß es ganz einfach vorsorgen und sich selbst von den prallen Äpfeln einen nehmen zur Sicherheit, falls mich wieder die „Geister“ verfolgen sollten. – Da ich aber nicht in vorhinein wusste, wann mir

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diese Visionen kommen könnten, habe ich mir also stets einen Apfel genommen, so oft ich nur einen für den Herrn Lehrer zu holen hatte. – Von dieser Zeit angefangen, haben mich die Geister nicht mehr verfolgt – denn ich stand mehr unter dem Eindrucke, beim Verlassen der Speisevorratskammer, des genommenen Apfels als der mich ev. verfolgenden Geister. – Somit brauchte ich keinen Apfel um die Angst zu vertreiben und schenkte ihn größenteils

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ein und demselben Schulgenossen, der mich schon bei der Türe wartete. – Mit welcher Heißgier der Arme den Apfel gegessen und beneidend sahen ihm die anderen Unbemittelten zu. Dies hatte auf mein waches, gutes, kindliches Herz eine derartige Wirkung, daß ich nicht nur meine Jause fast täglich ihnen gab, sondern auch dafür sorgte, daß nicht einer von ihnen ohne Jause bleibe. – Das ging mir doch leicht – ich war ja

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des Herrn Lehrers Majordomus. – Es begann nämlich eine neue Ära, die Ära der „5-6 mitnehmenden Äpfel“. – Diese verteilte ich stets unter meinen unbemittelten Schulgenossen. – Der Herr Lehrer wurde dadurch garnicht verkürzt – er bekam doch auch täglich seinen Apfel. – In meiner echt kindlichen Mengeschätzung däucht es mir, daß diese große Menge von Äpfeln niemals verzehrt werden

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könne, auch wenn ich mit vollen Händen die Äpfel berechtigt und unberechtigt hergebe. Doch eines Nachmittags mußte ich aber dennoch bemerken zu meinem Leidwesen, daß es sich um die letzten 4 oder 5 Moschauer handle. – Ich nahm sie mit – dem Herrn Lehrer einen, den Kollegen den Rest. – Nun wußte ich, daß kein Apfel mehr da ist. So naiv war ich aber dennoch nicht, daß ich angenommen,

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daß der Herr Lehrer glauben werde, daß er alle Äpfel aufgegessen. – Ich war aber anders naiv. – Ich glaubte, daß, nachdem ich den größten Teil der Äpfel den Armen gab, der liebe Gott dorthin andere Äpfel legen müsste. – Denn meine Handlung war ja eine edle und brave. – Ich glaubte umso mehr daran, da ich sobald ich brav gewesen, stets von Niccolo sogar – den ich für den christlichen Gott

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hielt beschenkt wurde und er mir so manches in dem am Fenster abends hineingestellten Stiefelchen zurückließ. Da war mir doch wohl evident klar, daß mich der jüdische Gott beschenken werde, zumal ich brav gehandelt u. z. diesmal mit bloß vielen, vielen Äpfeln – aber wieder für meinen Herrn Lehrer und für meine armen Schulgenossen. Von dem wurde aber gar nichts und ich wollte fast glauben, daß der christliche

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Gott – der Niccolo – besser wäre als der jüdische Gott. – Wie gewöhnlich schickte mich der Herr Lehrer einen Apfel holen. Ich lief wie sonst – aber diesmal wußte ich wirklich nicht, ob ich einen Apfel finden werde oder nicht – denn ich glaubte ja doch, daß der liebe Gott dahin andere Äpfel gab. – Ich kam, ich sah – und war besiegt. – Sehr langsam, unbekümmert der mich etwa verfolgenden Geister ging ich die Stufen hinab

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und erstattete meiner Majordomuspflicht gemäß dem Herrn Lehrer die Meldung: „Bittschen Herr Lehrer, es ist kein Apfel mehr auf dem Boden.“ – (Was ich während der Meldungserstattung für Qualen ausgestanden, das kann man sich wohl denken.) „Was, es sind keine Äpfel mehr; wo sind denn diese vielen Äpfel hingekommen; soll ich denn allein in so kurzer Zeit 300 Kilo Äpfel aufgegessen haben?“ „Bittschen Herr Lehrer

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ich weiß nicht, ich habe lange gesucht und gesucht und habe nichts finden können – vielleicht bittschen, haben die Meise [sic] die Äpfel gegessen.“ (Ich war riesig erfreut, da ich so etwas richtiges gefunden und die Mäuse als Äpfelesser hinstellte. – Diese Annahme war mir doch genug logisch, zumal ich doch oft zu Hause hörte, daß die Mäuse sehr viel Getreide auffressen. Da konnte ich ja auch annehmen, daß die Mäuse diese süßere Frucht – die Äpfel eher aufgefressen

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haben.) „Dann muß man ja Spuren von Mäusen finden, ich will mal hinaufgehen und sehen; komm mit mit [sic] mir!" - (Das war mir ein Stich ins Herz, denn auf das rechnete nicht meine Naivität – daß mir aber der liebe Gott, dennoch in dieser gefahrvollen Stunde gnädig sein werde Äpfel hingeben werde, auf das rechnete sie aber dennoch.) Wir langten

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in der „Speisevorratskammerkanzlei“ an. Der Herr Lehrer untersucht jedes Winkelchen – ich ganz geschäftig natürlich auch um doch wenigstens ein Mäuseloch zu entdecken; doch nichts war zu finden, gar keine zurückgebliebene Spur. Der liebe Gott gab auch keine anderen Äpfel hin und da ich das konstatierte, hätte ich am liebsten mit meinen schwachen Fingerchen selbst ein Loch

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gebohrt um mit Archimedes dann zu schreien: „Ich habs gefunden. Bittschen, hier ist ein Mauseloch.“ – Also gar keine Spuren. „Wie konnte ich so etwas denken“ dachte ich in mir, „daß im Tempel Mäuse wären; der liebe Gott hatte diese Tiere doch aus dem Tempel herausgetrieben!“ – Ich war also gefangen. Jetzt hieß es alles angestoßen. – „Komm mit mir hinunter“ klang es im barschem

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Tone. –
„Sag mir jetzt, wo sind die Äpfel hingekommen!“
„Bitt – bittsche-n, Herr Lehrer, i-ich h-ab sie den – den Kindern ver-teilt.“
„Welchen Kindern?“ (Ich erzählte ganz gebrochen den ganzen Sachverhalt) „Also meine Äpfel … Du, Schurke, so mir nichts dir nichts austeilen?!“
„Bitt-schen… .“
„Nichts „Bittscheen“, du Schurke musst sehr hart bestraft werden.“

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„A-aber… .“
„Nichts aber – Roth hole mir vom „Schames“ (Kirchen-Tempeldiener) den Schlüssel von der Totenkammer.“ – Das Blut stockte mir, denn in der Totenkammer Aufenthalt genommen zu haben, hatte ich noch nicht die Ehre gehabt. Schon wieder aber war es mein Stärkerenommee  – das mich kaltblütig erscheinen ließ. – Der Schames kam brachte selbst den Schlüssel und übergab ihn dem Herrn Lehrer – abwartend, was da weiter geschehen werde.

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Die Gegenwart des Schames machte mich aber noch kaltblütiger und kouragierter. – Ich habe mich fast ganz wieder gefunden, da ich noch den anderen Lehrer lachen sah. – Der Herr Lehrer öffnete die Totenkammer. – Blitzschnell überflog ich die darin aufgestappelten [sic] Gegenstände, solange ich mich noch unter Menschen gesehen, und konnte konstatieren, daß darin der Leichenwagen steht und an diesem das für Totenwaschung

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nötige Waschbecken – und all das nennt man Totenkammer, obwohl ich nicht einen einzigen Toten sah. – „Da geh hinein du Schurke, da wird dir das Apfelverteilen vergehen.“ – Ich ging hinein, stellte mich knapp an die Türe und wartete dennoch trotz aller Kourage, daß selbe abgesperrt werde, was auch bald geschah. – Da der von allen Seiten durch die Furchen der Bretter die Sonne hineinbrach und somit in dieser „Totenkammer“ im

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Verhältnis zum „Geisterboden“ so ziemlich hell gewesen, war es nicht aus um meine Kourage. – Ich machte mich mit allen darin stehenden Gegenständen vertraut; schrieb auf die Bretter der Kammer und auf alle Gegenstände fast meinen Namen und eines tat mir nur Leid, daß ich gerade dann kein Messer bei mir hatte um meinen Namen auf einem recht unbemerkbaren Platze des Toten-

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wagens einzuschneiden. Es war alles in allem genommen so recht heimlich in dieser „Totenkammer“, die ich mir bis dahin mit Toten ausmalte. Nach einer vollen Stunde fast wurde ich frei gelassen. – Hätte ich geschrien, wie meine Genossen, die später dahinkamen, so wäre ich sofort frei gelassen worden; da ich mich aber ruhig verhielte, blieb ich darin eine Stunde fast. – Der Herr Lehrer kam und ließ mich

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ohne ein Wort zu sprechen hinaus. Ich sprach aber auch nichts – ich dachte mir aber deshalb mehr und alles ging auf das eine Denken aus, daß mir das Verteilen der Äpfel des Herrn Lehrer an meine unbemittelten Schulgenossen diese eine Stunde in der Totenkammer wert war.

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Schluss!

30.X.13

Wie gewöhnlich haben sich die auserwählten Schulgenossen schon gegen ein Uhr in der großen Schulhalle – im Tempelhof versammelt um noch vor Beginn des Unterrichtes den Körper im Spiele zu stärken. Ein jeder hatte noch ein Stückchen Brot oder Obst, zu was er sich keine Zeit genommen zu Hause zu verspeisen, was er essend, dennoch nicht vom Spiele fernbleiben konnte, zumal ihm doch die eine Hand dabei frei geblieben und die andere der Gehilfe zum „Fangerl-Spiel“ gewesen. Brauchte man zufällig beide Hände im Spiele, da halfen wir uns dadurch aus, dass wir im Munde die noch übriggebliebenenen kleinen oder großen Speisestücke festhielten und von denen ganz einfach allmählich ein Stückchen abbissen. Damit dies rascher gehe, fanden sich schon solche, die auch etwas davon abgebissen; war es ein zu großes Stück, fanden sich auch schon für das Abnehmer. Die Hauptsache war, doch dass alles ja eher aufgezehrt werde. Ja, auch der sonst „herrisch“ oder „herrschaftlich“ scheinende Binder, fehlte nicht in

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in dieser Spielpartie, schenkte aber dennoch nicht zu Hause die etwaigen noch nachträglich aufzutischenden Mahlzeiten, sondern brachte sie der Tradition gemäß zur gemeinschaftlichen Verspeisung mit. Eines Tages, da wir gerade am schönsten schon im Spiele drinnen waren und ein jeder im Innern wohl bedauerte, dass bald, gerade jetzt, die Schule geöffnet wird werden, hörten wir von weitem Musik. Wir stutzten – drehten uns nach allen Seiten, - das Spiel wurde sofort abgebrochen und entnahmen die Musik in der Hauptgasse. Zeit war noch um ihr wenigstens bis in die Bozanija Gasse nachzulaufen. Doch wir wussten, dass es uns dann schwer fallen wird die Musik im Stiche zu lassen und liefen ihr deshalb überhaupt nicht nach. Wissen wollten wir aber doch, wohin die Musik gehe. Da schrie einer der Schulgenossen, der aber nicht zu unserer „Spielverbindung“ gehörte: „Aha Majalis.“ Da schauten wir uns groß an und verstanden uns schon – es hieß wir gehen auch „aufn Majalus“? „Also gehen wir aufn Majalus“? frug einer. „ja“ lautete der rasche Entschluss – aber noch immer

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standen wir auf demselben Flecke, denn die Schule wurde uns zu einem Dorn im Auge. – Und obendrein schrie noch einer, der dem Spielverbande nicht angehörte, damit es ja alle Anwesenden gut hören: „Ich wer schon dem Herrn Lehrer sagen, gehts nur aufn Majalus.“ „Jetzt erst recht“ dachten wir in uns, der soll sehen, dass wir uns nicht fürchten. – Und ehe wir noch die Trommel zum zweiten Male in der Bezanijagasse einschlagen hörten – da waren wir schon Eins und schrieen [sic] laufend: „Ach was, no sag dem Herrn Lehrer, wir sind aufn Majalus gegangen.“ Rasch haben wir uns der Musik angeschlossen und leisteten ihr große Dienste, zumal wir doch vier an der Zahl gewesen und die Musik dadurch verstärkten, dass wir mitlaufend, mit unseren Händchen auf die Schulbücher gleich einer Trommel draufschlugen, wodurch ein größerer Effekt erzielt wurde. – Um sie je mehr zu verstärken wurden die bekannten Märsche auch mitgeflötet. – Das zum Mitflöten nötige Pfeiferl trug doch ein jeder stets mit sich – denn wir waren ja groß im Pfeifen und ein Auspfeifen, dass wir gut auspfeifen konnten, beweißt [sic], dass man unser

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Auspfeifen sogar bis ans Ohr des Herrn Lehrer brachte. – Der Herr Lehrer hatte nichts anderes zu tun gehabt, als uns auszupfeifen. – Das war das Echo. Das war ja gar nicht großmütig von ihm, dass Auspfeifen von Kindern auch mit Auspfeifen beantwortete. – Bis aber sein Auspfeifen an unser Ohr drang, da waren wir schon längst die Helden aufm Majalus. – Ein jeder bekam von der Majalusleitung eine sichere Existenz wenigstens während der Majaluszeit andauernd gesichert. – Eintrittsgeld hatten wir keines – daher mussten wir vor der Türe bleiben. Das touchierte uns wohl – Denn der liebe Toscha – nach dem der eigentliche Toscha-Brunnen benannt wurde und der dazugehörende Majalusplatz sorgte auch für solche Exemplare, nachdem er Bläume daselbst pflanzte, auf die wir hinaufkletterten und so den Majalis von oben hinab schauten. – Da wir aber auch schon hinabschickten, was den Herrn da unten nicht angenehm gewesen lud man uns höfl. ein an der Feier teilzunehmen und sicherte uns eine Existenz zu. – Ich z. B. saß im Rasen und drehte den Spiess auf dem ein

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recht sympathisch aussehende Schweinerl bis zum Schwindel gedreht wurde. Wären nicht unten die Zeichen des delphischen Orakulums gewesen, welche es ganz meschuge machte, d. h. betäubten, so hätte man den Arzte holen müssen. – Ich labte es aber stets, indem ich es mit meiner Hand und Fingern streichelte – die ich mir aber dann reinlichkeitshalber abschleckte. – Das ging so lange, bis […] der Arzt dennoch in Gestalt des Wirten gekommen und die Sezzierung vorgenommen, bei welcher Gelegenheit ich als Assistent meinen Teil, aber einen recht hübschen Teil bekommen. Ein anderer Schulgenosse wieder hat die untergeordnetste Stelle bei Herrn Bachus eingenommen, was aber genug war um ab und zu von gebranntem Malz zu genießen. – der herrischste von uns war in der Abteilung für allgemeine Geschirr-Reinigung angestellt. – Als Chef dieser Abteilung hatte er das Recht als erster die einlaufenden Schüsseln nach guten Bissen durchzusuchen. – Alle hatten wir also höhere Existenzen – vor Hungersnot brauchten wir uns nicht zu fürchten. Ganz natürlich hatten wir auch Stellvertreter,

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die stets vertraten, da wir an den Salontänzen teilgenommen wobei wir aber doch schon durch unser Äußeres die Nichtkompetenz verrieten zumal an unseren Händen und Kleidern nichts Salonmäßiges lag – was nur Folgen des Berufes gewesen. – Für kurze Zeit waren wir aber dennoch salonfähig und konnten sowohl Gras- als auch im Erdenpeluchesaal¹ mittanzen. Inmitten des in alle das sich hineingefundenen, kam ein Störenfried in der Gestalt eines Polizisten, der nach uns fahndete im Auftrage des Herrn Lehrers. Höflich lud er uns mit ihm mitzugehen. Nicht einmal Zeit läßt er unsern Posten zu kündigen. So handelt die Polizei, lachend und scherzend, mit dem Säbel des Herrn Polizisten auch spielend gingen wir mit ihm in die Schule. – Ja, mit ihm, denn er ging voraus und wir liefen ihm nach – wir eskortierten also ihn – den Armen, der

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¹ peluche: französisch für Plüsch.

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sich wirklich diesen Weg hätte ersparen können – d. h. der Herr Lehrer hätte das unsern Eltern und diese wieder dem Herrn Porzeleijmann das ersparen können. – Im Schweiße gebadet kamen wir nun in der Schule an. – Da erzählten wir auf Geheiß des Herrn Lehrers, wie wir im Schweiße unseres Angesichtes unser Brot verdienen mussten und wie es überhaupt kam, dass wir mitliefen. – Da rief er den Porzeleijmann auf die Seite und nachdem er ihm etwas ins Ohr geflüstert, zu uns hin wendend: „Nächstens werdet ihr bei der Polizei eingesperrt werden, für heute verzeih ich euch alles.“ – Der Porzeleijmann ganz ernst: „Da, da.“ – Wir gingen aber ruhig auf unsere Plätze und dachten uns, dass wir nächstens schon „Herr Realschüler“ genannt werden, mit dem die Polizei nichts tun kann. Ra