Den diesjährigen Volkstrauertag auf der Kreisehrengedenkstätte in Siegen-Gosenbach konnten wieder unsere Schüler/innen mitgestalten. Mittelpunkt der Veranstaltung war das Gedenken an die Toten, die Opfer und Verfolgten beider Weltkriege, des Nationalsozialismus und der Gewaltherrschaft.

Neben Landrat Andreas Müller und Frau von Plettenberg (Leiterin des Geistlichen Zentrums des Dekanats Siegen „Eremitage Franziskus“) haben Antonia (Q2), Helene, Madita, Sophia (EF) und Marvin (Q1) eindrucksvolle Redebeiträge zu diesem Gedenktag vorbereitet, um für die Notwendigkeit der Versöhnung zu sensibilisieren und gegen Krieg und Gewalt zu mahnen. Unsere Schüler/innen haben bei der Recherche für ihre Beiträge ihre Eltern und Großeltern gefragt und sind so zu eindrucksvollen Zeugnissen aus der Zeit des Nationalsozialismus gelangt, die sie vortragen konnten. Deutlich wurde, dass Verfolgung, Unterdrückung der politischen Meinung und der Tod für jede ihrer Familien in Siegen und Umgebung gegenwärtig war. Wir danken unseren Schülern/innen für ihr verantwortungsvolles Engagement und veröffentlichen stellvertretend für alle den Beitrag von Antonia aus der Q2:

Was meine Großmutter mir einst erzählte, ähnelte zu Beginn sehr einer Geschichte, die auch ich so hätte erzählen können. Es war Sommer und meine Großmutter lief zum Seelbacher Weiher, so wie meine Freunde und ich das tun, wenn es warm ist. Sie war zwölf Jahre alt, ihr 18-jähriger Bruder war auch dabei. Die Familie hatte mit ihrem Dasein als Flüchtlinge zu kämpfen. Oft wurde ihnen gesagt, dass man sie nicht haben wollte, dass sie woanders hingehen sollten. An diesem Tag ging die Familie schwimmen; einige Zeit später sah meine Großmutter ihren Bruder im Wasser treiben. Sie wurde weggeschickt mit den Worten „Geh' nach Hause und mach dir keine Sorgen, dem geht’s gut“. Ihr Bruder wurde wenig später tot nach Hause getragen. Er hatte immer wieder Auseinandersetzungen mit den anderen Jugendlichen gehabt, weil er, und das obwohl er ein Flüchtling war, ein gutes Leben führte, einen Ausbildungsplatz hatte. Letztendlich blieb seine Todesursache ungeklärt – aber von plötzlichem Herztod bis Spekulationen einer Auseinandersetzung im Wasser klingt alles an.

Meine Urgroßmutter floh mit ihren sieben Kindern im zweiten Weltkrieg von Schlesien nach Alchen. Hier angekommen wurden sie als Flüchtlinge aufgenommen - akzeptiert und toleriert jedoch erst Jahre später. Das ist etwas, was mir auch meine andere Großmutter immer wieder bestätigte. Geboren und Aufgewachsen in Hamburg verlief ihre Kindheit wahrscheinlich zwar etwas besser als die der anderen, aber sie, ihr Bruder und ihre Mutter sollten eines Tages von den Nazis abgeholt und weggebracht werden. Ihr Vater war Kriegsdienstverweigerer, ein Vaterlandsverräter, und floh und in den Vorfahren ihrer Mutter fand sich jüdisches Blut. Durch einen glücklichen Zufall befand sich die Familie an dem Tag, als die Nazis vor der Tür standen, bei einem Verwandten außerhalb. In Hamburg lernte meine Großmutter auch meinen Großvater kennen, der zu diesem Zeitpunkt schon seine Heimat in Ostpreußen verlassen musste, zwei Jahre in Dänemark war und sich schließlich mit ihr in Eichen niederließ. Auch hier nahm die Familie wahr, dass sie unerwünscht war und dass die Eingesessenen nichts mit ihnen zu tun haben wollten.

Heute ist von dieser Unerwünschtheit natürlich schon lange nichts mehr zu spüren. Die nachfolgenden Generationen, meine Eltern und ich, sind hier geboren und aufgewachsen und identifizieren uns mit dieser Region, da sie unsere Heimat ist. Meine Großmutter schwärmt zwar weiterhin von Hamburg, aber ist im Siegerland zu hause. Zeit seines Lebens hat mein Großvater mir erzählt, wie schön es in seiner Heimat, in Masuren, ist und immer wieder sind sie dorthin gefahren. Obwohl sie hätten zurückkehren können, sind sie geblieben, weil das Siegerland, Eichen, Alchen und Siegen ihre neue Heimat war.

Auch heute kommen viele Menschen zu uns und suchen eine neue Heimat. Diese Menschen kennen die Ablehnung, die zwar nicht unbedingt uns, aber unseren Eltern, Großeltern und Urgroßeltern noch entgegengebracht wurde, weil sie vor Gewalt und Krieg flohen und Schutz suchten. Verschiedenste Stimmen der Gesellschaft werden immer lauter: man solle keine Menschen aufnehmen, unsere Kultur sei in Gefahr und die Politik solle nicht weg-, sondern hinschauen und radikal agieren. Diese Forderungen gab es auch vor 50 Jahren schon und wäre ihnen nachgegeben worden, wären viele von uns heute nicht hier, wäre ich heute nicht hier.

Ich hoffe aus tiefstem Herzen, dass sich unsere Vergangenheit und all das Leid, dass sie mit sich brachte, sich nicht wiederholt. Nichts, dass anderen Menschen die Berechtigung ihrer Existenz abspricht, darf Rückhalt in einer Gesellschaft haben, die das Potenzial hat, in demokratischen und sozial gesicherten Verhältnissen zu leben und es ist unsere Aufgabe, die Aufgabe eines jeden Einzelnen, für den Frieden in unserer Gesellschaft und darüber hinaus zu sorgen.

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