Symbolischer Akt: Schüler des Löhrtorgymnasiums legten Rosen auf den Grabsteinen der Kreisehrengedenkstätte in Gosenbach nieder. In Zeitzeugengesprächen haben sie sich ein Bild von der Kindheit in einer dunklen Zeit verschafft. Fotos: Jan Schäfer

GOSENBACH Volkstrauertag: Zentrales Innehalten an der Kreisehrengedenkstätte nach Corona-Pause wieder mit Gästen

Gymnasiasten vom Löhrtor appellieren: Wir müssen aus der Vergangenheit lernen.

js ◼ Frieden ist keine Selbstverständlichkeit - auch wenn es sich gut siebeneinhalb Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs so anfühlen mag in Deutschland. Die Zeitzeugen, die noch selbst berichten können aus den dunklen Stunden der Geschichte, sterben langsam aus, werden eines nicht allzu fernen Tages nicht mehr Rede und Antwort stehen können. Umso wichtiger war es einer Reihe von Oberstufenschülern des Siegener Löhrtorgymnasiums, das Gespräch zu suchen; aus erster Hand zu erfahren, wie es damals war, Kind oder Jugendlicher zu sein, welche Ängste und Sorgen den Alltag bestimmten. Bei der zentralen Gedenkstunde zum Volkstrauertag an der Kreisehrengedenkstätte in Gosenbach zogen Oskar, Georg, Yannik, Robin, Julia und Linus den Vergleich zu ihrem eigenen Leben - und gedachten auch der jungen Menschen, die seinerzeit Opfer des Naziregimes wurden.

„Sie waren Jugendliche wie er, sie oder ich“, erinnerte Oskar an die jüdischen Kinder, die von Gleis 4 des Siegener Bahnhofs aus deportiert wurden. Fußballspielen oder Freunde treffen? An das, was heute zum Alltag des Nachwuchses gehören mag, war seinerzeit nicht zu denken. „Sie mussten um ihr Leben fürchten.”

Auch die Senioren, mit denen Georg gesprochen hat, berichteten dem Löhrtorianer von einer Zeit, die ganz anders gewesen sei als sein wohlbehütetes Umfeld von heute. „Sie lebten in einer Welt, die von Hass und Unterdrückung bestimmt wurde.“ Gefordert worden sei die bedingungslose Selbstaufgabe an ein totalitäres System. Die Angst vor einem Bombenangriff: allgegenwärtig. Solch unmenschliche Zustände dürfe es nie wieder geben. „Wir dürfen diese Zeit nicht in Vergessenheit geraten lassen.” Auch heute noch, so spannten die Schüler den Bogen ins Hier und Jetzt, stünden jüdische Schulen und Einrichtungen unter besonderen Schutz, müssten von Polizei und Sicherheitspersonal bewacht werden. „Gerade in der Corona-Pandemie sind die Juden wieder in den Fokus rechtsgerichteter Verschwörungstheorien geraten“, erklärte Julia. „Wir müssen und vor Augen halten, dass Hass und Gewalt auch noch in der heutigen Gesellschaft vorhanden sind.” Da dürfte man nicht wegschauen, man müsse in den Dialog treten. „Wir müssen aus der Vergangenheit lernen!”

Dass Schüler an der Gestaltung der Gedenkfeier des Volksbunds Deutsche Kriegsgräber (VDK) mitwirken, hat sich bereits seit einiger Zeit eingespielt, der Brückenschlag in die nachfolgenden Generationen gehört zum Konzept. Dennoch dürfte Landrat und VDK-Kreisvorsitzender Andreas Müller am Sonntag diese Unterstützung dankbarer als sonst aufgenommen haben - immerhin hatte er vor einem Jahr aufgrund der damaligen Corona-Lage ganz ohne Publikum innegehalten und einen Kranz niedergelegt. Diesmal hatten sich wieder zahlreiche Gäste eingefunden.

Müller griff in seiner Ansprache die Schuldfrage auf. Können nur Hitler und ein kleiner Kreis für die Verbrechen des Nationalsozialismus verantwortlich gemacht werden? Waren die übrigen 79 Millionen Einwohner des Deutschen Reiches unschuldig - selbst auch Opfer? „Ab wann hat man eigentlich persönliche Schuld auf sich geladen?“ Er selbst wolle nicht über Menschen urteilen, die damals gelebt haben, stellte Andras Müller klar. „Zum Glück muss auch von den allermeisten, die hier stehen, niemand die Frage tatsächlich beantworten: ‚Wie hätte ich damals gehandelt?’“

Was man selbst getan hätte, müsse niemand beweisen. „Deshalb geht es auch eigentlich um eine andere Frage, nämlich: Wie werden wir in Zukunft handeln?“ Jeder von uns, so betonte Müller, trage Verantwortung an der Stelle, an der er steht „Und wenn um uns herum ewig Gestrige oder Neofaschisten versuchen, ihre braune, giftige Suppe zu kochen, dann dürfen wir nicht tatenlos zusehen.” Die Kernbotschaft des Volkstrauertages laute: Nie wieder! „Lassen sie uns weiter gemeinsam für Frieden und Gerechtigkeit eintreten.“ Diplomatie müsse immer Vorrang vor Waffengewalt haben.