Die Außenfassade der einstigen Stadtbühne hat sich verwandelt - in ein Bild von unserer Welt. Die Künstler jan Bresinski und Charles Bhebe arbeiteten bei Wind und Wetter an ihrem Wandgemälde, das sich während des Entstehungsprozesses immer wieder veränderte. Das Krönchen, zum Beispiel, passte am Ende nicht ins Konzept, der Eisbär mit Selfiestick schon. Foto: Dirk Manderbach

SIEGEN Jan Bresinski und Charles Bhebe haben ihr Wandgemälde am Löhrtor fertig­gestellt

Das Bild will sehr bewusst zur Diskussion anregen.

ciu ◼ Land unter. Rette sich, wer kann, und rette, was er kann. Den Koffer voll Geld; das Nutztier, die Geige, die Kinder, Buch oder Burger, die fein gehegte Blume. Denn das Wasser steht den Menschen bis zum Hals. Jedenfalls denen, die am Fuß der Brückenpfeiler leben – und ums Überleben kämpfen. Von deren Sorgen, Nöten, Ängsten enthoben sind jene, die dort zu Hause sind, wo das Geld hängenbleibt. In den Wolkenkratzern des „big business“ einer blinkenden Glitzerwelt. Um die allein mit den Augen zu erreichen, muss man den Kopf weit in den Nacken leben. So hoch, so fern, so unerreichbar türmt sich die Skyline einer kalten Metropole auf. Was bei denen ganz unten ein Gesicht hat, ist „on the top“ hinter erleuchteten Fensterreihen verborgen, bleibt anonym, ist nicht zu fassen.

Ist das die Welt, in der wir leben? Vielleicht. Jedenfalls ist das die Welt, die Jan Bresinski (Eitorf) und Charles Bhebe (Simbabwe) an die Wand gemalt haben: an die Straßenseite der Aula des Löhrtor-Gymnasiums Siegen und um die Ecke zum Parkplatz herum – wo ein Affe uns Menschen gewissermaßen den Vogel zeigt … Rund zwei Wochen haben die beiden Künstler auf der „Weltbaustelle Siegen“ gearbeitet. Haben zunächst recherchiert und – auch, wie berichtet, gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums – projektiert, um dann die riesige Außenfläche zu gestalten.

Eine Aufgabe war es, mit diesem Bild auf die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (Agenda 2030) aufmerksam zu machen. Darauf verwies Eine-Welt-Promotorin und Siegener Projektleiterin Elisa Heinrich am Mittwoch während der Feierstunde zur offiziellen Übergabe des Wandgemäldes. So finden sich in diesem Mega-Bild Verweise auf die Themen Armut, Bildung, Klimawandel oder Ungleichheit. In Vertretung von Bürgermeister Steffen Mues dankte Beigeordneter Wolfgang Cavelius allen am Projekt Beteiligten und verwies auf manches, was sich städtischerseits in Sachen Klimaschutz oder fairer Handel tut. Ob Siegen nun tatsächlich eine grüne Stadt ist (wie der Verwaltungsmann unterstrich) oder ziemlich zubetoniert (wie Schüler Kevin Dinay im Interview mit Schulleiter Dr. Reiner Berg sagte), darf gerne diskutiert werden. Auch ob das Bild von unserer Welt, das uns das Löhrtor als Spiegel vorhält, ein stimmiges ist – oder auch nicht. Es soll und wird in jedem Fall für Gesprächsstoff sorgen.

Abschied nehmen mussten die Schulgemeinde und die Eine-Welt-Initiativen von den beiden Künstlern, die eine Menge positiver Impulse gegeben haben. Das jedenfalls war am Mittwoch in der Aula spürbar. Viel Applaus und mit Bedacht gewählte Geschenke erhielten Bhebe/Bresinski mit auf den Weg. Sie seien „erstmal platt“, sagten sie – nach so vielen Tagen bei überwiegend herbstlich nassem sz 2017 10 13 foto2Wetter auf dem Gerüst. Dann freilich packen sie wieder etwas Neues an, möglicherweise gibt es sogar ein gemeinsames Projekt in Simbabwe. Auf Dr. Bergs Frage, ob sie mit ihrem Siegener Wandgemälde zufrieden seien, antwortete Charles Bhebe siegerländisch knapp: „Jo.“

Schön, dass die Schulchöre die Botschaft des Bildes mit passenden Songs unterstrichen: die Jüngeren mit Birdys „People Help The People“, die Älteren mit „Human“ von Christina Perri. Auch an den Erwachsenen von morgen (und hier beginnt ein kleiner Kommentar) liegt es, in welchen Bereichen unsere Welt eine Baustelle bleibt oder nicht. Und: Richtig rund würde die Sache, wenn der zu Jan Bresinski und Charles Bhebe entstandene Kontakt vertieft werden könnte – etwa mit einer Einzel- oder Doppelaussteliung im Haus Seel oder auch (immerhin ist Bhebe bei der 57. Biennale in Venedig vertreten) im Museum für Gegenwartskunst.