Die zentrale Gedenkstunde auf der Kreisehrengedenkstätte Gosenbach diente gestern als Brückenschlag vom Ersten Weltkrieg ins Hier und Jetzt. Schüler des Gymnasiums Am Löhrtor legten Rosen nieder. Andreas Müller und Irmtrud von Plet­tenberg legten einen Kranz im Namen des Kreises Siegen-Wittgenstein nieder.

GOSENBACH Zentrale Gedenkstunde des Kreises Siegen-Wittgenstein zum Volkstrauer­tag eine Mahnung für das Hier und Jetzt

Nach mehr als sieben friedlichen Jahrzehnten sind die Lehren des Krieges aktueller denn je.

js ▩ Der Zeitpunkt dieses Volkstrauertags sei ein besonderer, meinte Siegen-Wittgensteins Landrat Andreas Müller, zugleich Kreisvorsitzender des Volksbunds Deutscher Kriegsgräberfürsorge (VDK), gestern bei der zentralen Gedenkstunde an der Kreisehrengedenkstätte in Gosenbach. Vor 100 Jahren sei der Erste Weltkrieg zu Ende gegangen, der bis dahin schlimmste und blutigste Krieg, der Millionen von Todesopfern gefordert und dessen Ende leider noch keinen dauerhaften Frieden gebracht habe.

Heute lebten wir bereits mehr als sieben Jahrzehnte lang ohne kriegerische Ausein­andersetzungen. „Meine Generation hat noch nie einen Krieg erlebt“, so Müller. „So etwas hat es selten, hat es nie gegeben.“ Aus Erzfeinden seien Freunde geworden. „Das ist allerdings keine Selbstverständlichkeit.“ Die Lehre aus dem Krieg könne nur sein: „Nie wieder!“ Mit aller Kraft müssten wir daran arbeiten, dass diese Lehre weiterhin Früchte trage. Denn: „Ideologen, Hetzer und Spalter versuchen, neue sz 2018 11 19 foto2Gräben auszuheben.“ Patrioten liebten ihr Vaterland, Nationalisten aber verachteten die Vaterländer der anderen, zitierte Müller den früheren Bundespräsidenten Johannes Rau. Nationalismus habe stets Leid und Elend, nie aber etwas Positives hervorgebracht.

Bewegende Beiträge hatten Schüler des Siegener Gymnasiums Am Löhrtor mitgebracht. Bei ihrer Vorbereitung auf den Volkstrauertag in einer Zeit, in der es immer weniger Zeitzeugen gibt, haben sie sich auf die Suche nach Geschichten aus der Kriegszeit begeben. Fündig wurden sie in der eigenen Familie, in den Erzählungen der Eltern und Großeltern – oder in den Briefen des Soldaten G., der als Homosexueller heimliche Liebesbriefe an seinen Freund geschrieben hat.

Die Jugendlichen schlugen die Brücke von den Erkenntnissen ihrer Recherche sz 2018 11 19 foto3ins Hier und Jetzt, verdeutlichten Parallelen zu den Zeiten der Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg zu den Flüchtlingsbewegungen von heute. Damals wie heute habe es Ablehnung gegeben. Wenn sich damals diese Stimmen durchgesetzt hätten, sagte einer der Schülerinnen, „dann wären viele von uns nicht hier, dann gäbe es mich nicht“. Unser aller Aufgabe müsse es sein, für Frieden in unserer Gesellschaft und darüber hinaus zu sorgen, lautete ihr eindringlicher Appell.

Die Worte der Jugendlichen hätten ihr ein Hoffnungszeichen gegeben, sagte Irmtrud von Plettenberg, Leiterin des Geistlichen Zentrums des Dekanats Siegen „Eremitage Franziskus“. Der Faden des Gesprächs dürfe nie abreißen. „Sonst ist es so wie an vielen Stellen, wo die Namen verwittern und wir vergessen, was war.“ Die Erinnerungen „mögen uns zum Verändern bewegen“. Ihr Großvater habe ihr berichtet, dass er „mit Begeisterung“ in den Krieg gezogen sei, dass es eine Ehre gewesen sei, Soldat zu sein. „Ein solches Denken ist uns heute fremd und fern.“ Der Krieg sei nicht heldenhaft, nicht triumphierend gewesen. „Krieg gereicht niemandem zur Ehre!“ Bei keinem Krieg gebe es jemals echte Gewinner, darüber könnten auch Siegesfeiern nicht hinwegtäuschen. Menschenwürde zähle in Kriegen nichts. „Menschen werden verheizt, ohne Aussicht auf Erfolg.“ Frieden, der mehr sei als die Abwesenheit von Krieg, sei „sehr zerbrechlich“, betonte Irmtrud von Plettenberg in Anspielung auf Anfeindungen und das, was in unserer Gesellschaft wieder sagbar und „hoffähig“ werde. „Widerlich“ sei es, wie geflüchtete Menschen mitunter zurückgewiesen würden. Krieg im Großen und im Kleinen verachte den Menschen.

Aufgabe des Volkstrauertags sei es, den Blick auf den Wert jedes einzelnen Lebens zu richten. „Der Blick in den Nahen Osten, aber auch in den fernen Westen gibt uns Grund zum Nachdenken.“

Das 100-Jährige des Endes des Ersten Weltkriegs sollte „uns Mahnung sein, zu versuchen, das Säbelrasseln der Gegenwart zu beenden“. Weniger Ich, mehr Wir, forderte Irmtrud von Plettenberg ein. „Wir müssen alles dafür tun, dass unseren Worten auch Taten folgen.“ Dann bekomme der Traum des Friedens Hände und Füße. Und das müsse schnell geschehen: „Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist bereits zwei vor zwölf!“