Die Direktkandidaten für die Landtagswahl stellten sich bei einer Podiumsdiskussion den Fragen von SZ-Lokalchef Christian Hoffmann (M.) und den Zuhörern (v. l.): Brigitte Kahleis (AfD), Markus Sonneborn (ÖDP), Jens Kamieth (CDU), Tanja Wagener (SPD), Johannes Remmel (Grüne), Dominik Eichbaum (Einzelbewerber), Melanie Becker (Linke), Guido Müller (FDP).

SIEGEN Landtagswahl: SZ und das Löhrtor-Gymnasium hatten zur Podiumsdiskussion geladen / Die Direktkandidaten des Wahlkreis 126 stellten sich den Fragen der Zuhörer

Noch müssen die Bewerber Überzeugungsarbeit leisten, um die Wähler auf ihre Seite zu holen.

sos ◼ In der Theorie gibt es einige Möglichkeiten, wie die Landesregierung ab Mai aussehen könnte. Entscheiden werden darüber am 14. Mai die Wähler. Die Direktkandidaten des Wahlkreises 126 (Burbach, Freudenberg, Neunkirchen, Siegen) stellten sich jetzt bei einer Podiumsdiskussion den Fragen des Lokalchefs der Siegener Zeitung, Christian Hoffmann, und denen der Zuhörer. Gemeinsam mit dem Gymnasium am Löhrtor (GAL) hatte die SZ dazu eingeladen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Und wie die anfänglichen Meldungen der Zuhörer anzeigten, waren bzw. sind etliche noch unentschlossen, wen sie in knapp zwei Wochen wählen sollen. Die acht Kandidaten hatten also noch Überzeugungsarbeit zu leisten.

G 8 oder G 9: Gleich zu Beginn warf ein Schüler ein immer wieder kontrovers diskutiertes Thema in die Runde: Sollte man das Abitur nach acht oder neun Jahren weiterführende Schule ablegen? Die AfD und die Linke standen sich hier ausnahmsweise sehr nah: Eger-Kahleis und Becker sprachen sich beide für G 9 aus. Becker betonte außerdem, dass die Schüler nach dem Unterricht Feierabend haben sollten: „Die Bücher bleiben in der Schule.“

Die Schulkonferenzen sollten darüber eigenmächtig entscheiden, sich dann aber auch daran halten, antwortete Kamieth. „Die Entscheidung darf einmal fallen, ist dann aber verbindlich.“ Guido Müller plädierte ebenfalls für die Wahlmöglichkeit der Schulen; er persönlich setze sich als Sportvereinsvorsitzender aber auch dafür ein, dass Schüler mehr Freizeit bekommen. Die Flexibilität war auch Johannes Remmel wichtig. Er stellte sich jedoch vor, dass nicht die Schule die Vorgabe macht, sondern dass jeder Schüler individuell entscheiden kann. Mit kleinen Unterschieden in der Durchführung sprach sich Tanja Wagener ebenfalls für diese Möglichkeit aus. Am Ende der 9. Klasse solle der Schüler sich für G 8 oder G 9 entscheiden. Hier schaltete sich Marcus Hohenstein ein, Sprecher der Bürgerinitiative „G9 jetzt NRW“ und Lehrer am GAL. Dass schlechte Schüler die Mittelstufe ein Jahr länger besuchen, sei doch nichts Neues. „Sie verkaufen das als G 9, ist es aber nicht“, so Hohenstein. Es gehe hier nicht um gute und schlechte Schüler, erklärte Remmel. Jedes Kind sei anders, deswegen wolle man die Wahlmöglichkeit geben.

Eine Lehrerin des GAL appellierte, man solle Neuerungen zunächst fünf Jahre lang ausprobieren, um dann festzustellen: „Bringt's das oder bringt's das nicht?" Sie habe ein schlechtes Gefühl, wenn jeder individuell entscheiden könne. „Es wird nicht verantwortungsvoll ins Schulleben integriert“, sagte sie. Zu wenige Fehler würden eingesehen und Ressourcen verschwendet. Dadurch sinke das Bildungsniveau kontinuierlich.

Schulausstattung: Mit dem Programm „Gute Schule 2020“ habe die rot-grüne Landesregierung bereits eine Unterstützung für die Kommunen auf den Weg gebracht, im Rahmen derer allein 8,8 Mill. Euro nach Siegen gehen, so Wagener. „Wir haben viel investiert und werden das auch weiterhin tun.“ Das sei nichts als ein „Taschenspielertrick“ von Rot-Grün, widersprach Jens Kamieth. Die NRW-Bank stelle das Geld zur Verfügung, nicht das Land. Wagener betonte aber: „Das Geld kommt doch vom Land, weil es die Tilgung vornimmt.“ „Hätte man sich dieses Programm nicht schon früher auf die Agenda setzen können?", hakte Moderator Christian Hoffmann nach. Man habe zunächst für einen ausgeglichenen Haushalt in den Kommunen sorgen müssen, erklärte Remmel. Erst dann könne investiert werden. Dass sich weniger Kommunen im Nothaushalt befänden, sei jedoch keine Glanzleistung der Landesregierung, erwiderte Kamieth. „Man hat einfach den Zeitpunkt, an dem eine Kommune in den Nothausbalt rutscht, nach hinten verschoben.“

Auch Markus Sonneborn meldete sich jetzt zu Wort und stellte fest: „Es muss mehr Geld kommen, egal ob von Land oder Bund." Eine Lösung hatte er zwar nicht parat, doch wenn es nach Guido Müller geht, dann muss sowieso an einer ganz anderen Schraube gedreht werden: Die Anspruchshaltung der Schulen müsse sich ändern, so der FDP-Mann. Es sei nicht überall möglich, Inklusion anzubieten, die samtären Anlagen auf den neuesten Stand zu bringen und neue Fenster einzubauen. „Die Schulen müssen Prioritäten setzen.“

Die Kandidaten
Tanja Wagener (SPD), Johannes Remmel (Grüne), Jens Kamieth (CDU), Guido Müller (FDP), Melanie Becker (Linke), Brigitte Kahleis (AfD), Markus Sonneborn (ÖDP) und Dominik Eichbaum (Einzelbewerber) diskutierten rund zwei Stunden lang über politische Fragen.

E-Mobilität: „Wir müssen generell runter“, betonte Remmel in Bezug auf die hoben Stickoxidwerte in der Luft. Die Nachrüstung von mani­pulierten Dieselfahrzeugen sei da ein erster Schritt, Elektromobilität der nächste. Aber schon jetzt könne es sich lohnen, auf E-Mobilität umzusteigen, so Remmel. In Sachen ÖPNV gebe es definitiv Nachholbedarf, aber „der Sprung zum E-Bus ist schwierig“. Darin stimmte ihm Dominik Eichbaum zu. „Ein Bus ist 20-mal effektiver in der Schadstoffverminderung als ein Pkw. Die Förderung ist aber nicht 20-mal so hoch“, kritisierte er. Grundsätzlich habe die Technologie aber Potenzial in der Region. Remmel freute sich: Mit dieser Einstellung könne Eichbaum doch bei den Grünen anfangen.

Brigitte Eger-Kahleis forderte den Blick auf die Realität: „Wo soll der ganze Strom herkommen, wenn die Kohlekraftwerke abgeschaltet werden?“ Sie verstehe die Zurückhaltung der Automobilindustrie. Und Guido Müller brachte noch eine andere Alternative zum Verbrennungsmotor ins Spiel: Wenn alle mehr Rad führen, bliebe die Stadt auch sauber.

ÖPNV: Um von Betzdorf zur Schule in Siegen zu kommen, müsse sie 90 Euro im Monat für die Fahrkarte zahlen, berichtete eine Schülerin. Mit dem Auto sei es wesentlich günstiger. Dieses Problem sei auf Kreisebene zu regeln, erklärte Tanja Wagener, und somit hier nicht zu lösen. Dominik Eichbaum wies jedoch auf eine Unstimmigkeit hin: Die junge Frau bekäme die Fahrt bezahlt, wenn sie in Siegen studieren würde. „Die Politik versteht es nicht“, resümierte er.

Eine andere Schülerin machte darauf aufmerksam, dass die Anbindung in außerhalb liegende Ortschaften sehr schlecht sei. „Es ist eine politische Entscheidung, ob man Verkehre zur Verfügung stellt, die nicht wirtschaftlich sind“, sagte Remmel. „Ich wäre dafür, es zu tun.“ Sonneborn hingegen warf den Ausbau des Radwegenetzes in den Raum; mit einem E-Bike seien auch weite bzw. bergige Strecken zu meistern. Und Müller mahnte lediglich: „Wir versprechen hier immer etwas, aber woher kommt das Geld?“

Innere Sicherheit: Laut Kamieth können sich die Bürger in Siegen-Wittgenstein sicher fühlen. Damit das so bleibt, fordere er Strafmaßanhebungen vor allem bei Wohnungseinbrüchen. Zur Unterstützung der Polizisten auf der Straße sollten Verwaltungsassistenten für die Schreibarbeit eingestellt werden. Wagener setzt sich für mehr Polizisten auf der Straße ein: „Wir haben da schon nachgelegt, weil wir wissen, dass das erforderlich ist.“ Die Einführung der Bodycams sei ein weiterer Schritt zur inneren Sicherheit. Hinzu komme das Programm „Helle Plätze“, bei dem dunkle Bereiche in der Stadt beleuchtet werden sollen. Die Videoüberwachung an öffentlichen Orten sehe sie kritisch. Eichbaum stimmte den Vorrednern darin zu, dass die Präsenz der Polizei verstärkt werden müsse. Zwei Schüler erklärten jedoch, dass sie sich nicht sicherer fühlten, wenn mehr Polizisten auf den Straßen patrouillierten. Im Gegenteil: Sie zweifelten dadurch an der Sicherheit, die sie vorher als selbstverständlich gesehen hätten.

Seit 2015 habe Deutschland sich unwiderrufbar verändert, sagte Eger-Kahleis. Über eine Million Menschen sei unkontrolliert ins Land gekommen; jetzt müsse alles bewacht werden. Das habe nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun, sondern mit dem Schutz der eigenen Bürger. Zu viele Straftäter würden freigelassen, daran müsse sich etwas ändern. An dieser Stelle brachte sich auch Melanie Becker noch einmal ein. Die Diskussion um Gefährder werde sehr nationalistisch geführt. Es könne doch nicht für in Ordnung befunden werden, „wenn die Gefährder woanders gefährden“, so Becker. Kamieth und Wagener positionierten sich ebenfalls gegen die Haltung der AfD. Es hapere an der Abstimmung zwischen der Polizei und der Staatsanwaltschaft bzw. zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Gericht, so Kamieth. „Die Politik kann da nichts machen. Unsere Gerichte sind unabhängig.“ Wagener in Richtung Eger-Kahleis: „Wer die Gewaltenteilung nicht versteht, der gehört nicht ins Parlament. Was Sie hier bringen, ist Populismus hoch drei.“

Wer mit wem? Zu guter Letzt die Frage nach der Zusammenarbeit: Wer würde mit wem koalieren - und mit wem nicht? Remmel und Wagener blicken auf gemeinsame fünf Jahre in der Landesregierung zurück und stellten fest, sie hätten sich gut ergänzt. So könne es weitergehen. Remmel habe an diesem Abend aber auch eine neue Entdeckung gemacht, sagte er, und meinte wohl Eichbaum als Gleichgesinnten in Sachen E-Mobilität. Eichbaum wolle all jene unterstützen, die zukunftsorientiert seien. „Ich würde mit allen Gespräche führen, bis auf eine“, sagte er und schaute dabei in Richtung Eger-Kahleis.

Nicht zusammenarbeiten würde Kamieth mit der AfD und der Linken, einen Koalitionspartner nannte er nicht. Müller würde es mit der SPD wagen, während er die Grünen als Partner ausschloss. Wenig überraschend: Becker würde nicht mit der AfD zusammenarbeiten. Auch mit der CDU gestalte sich das schwierig. Der Koalition Rot-Rot-Grün stehe sie nicht abgeneigt gegenüber, aber von bestimmten Positionen werde sie nicht abrücken. Sonneborn könnte sich eine Koalition mit der CDU vorstellen, vielleicht auch mit der SPD. Der Unterschied der beiden großen Parteien sei ja nicht so groß. Eger-Kahleis machte sich lediglich für die Opposition im Landtag stark; die etablierten Parteien gingen oft zu sehr in eine Richtung.